Von Redaktion Foto: Fraunhofer UMSICHT, Mike Henning
Vom 21. Juni bis 1. September gastiert „Power2Change: Mission Energiewende“ in der experimenta. Die Ausstellung beleuchtet den Weg in eine klimaneutrale Zukunft und präsentiert Lösungsansätze für eine sichere und bezahlbare Energieversorgung. Im Gespräch gibt Prof. Dr.-Ing. Görge Deerberg, Direktor am Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT in Oberhausen, einen Einblick in die aktuelle Forschungsarbeit auf dem Gebiet Umwelt- und Prozesstechnik.
Herr Prof. Deerberg, in der Ausstellung „Power2Change: Mission Energiewende“ geht es um die Wege in eine klimaneutrale Zukunft. Stellen Sie sich vor, es ist das Jahr 2045: Wie sieht unsere Energieversorgung dann aus, was ist der größte Unterschied zu heute?
Wir werden viel bewusster als heute mit Energie und Rohstoffen umgehen. Der Verbrauch wird deutlich gesenkt sein, dadurch, dass Energieverschwendung vermieden wird und der Gebrauch effizienter erfolgt. Der Stromverbrauch wird aufgrund der Erneuerbaren mehr dem Stromangebot folgen und nicht wie heute umgekehrt. Das wird voraussichtlich große Verbraucher in der Industrie mehr betreffen als Haushalte. Das Stromnetz wird viel dezentraler organisiert sein, weil Strom dezentral in Wind und PV- Anlagen erzeugt und lokal in Speichern gepuffert wird. Das schafft auch Unabhängigkeit und mehr Sicherheit gegenüber Angriffen. Es wird einen Mix geben, der nach wie vor fossile Anteile enthält, der aber von erneuerbarer Energie dominiert wird. Energie wird überwiegend als Wasserstoffderivat importiert, und nicht wie heute als Erdöl, Erdgas oder Kohle. Wasserstoff wird dann auch für die heimischen produzierenden Industrien eingesetzt, die Treib- und Rohstoffe auf Kohlendioxidbasis benötigt.
Welche Tipps für den Alltag können Sie uns schon heute zum bewussteren Umgang mit Energie geben?
Gehen Sie einmal in der Woche durch Ihre Wohnung und Ihren Arbeitsplatz und versuchen Sie, alle energieverbrauchenden Geräte zu finden und addieren Sie den Energiebedarf. Man gewinnt dadurch ein Gefühl dafür, wieviel Energie man selbst benötigt und kann daran vielleicht auch erkennen, wie das Leben energieeffizienter zu gestalten ist. Viele andere Tipps sind allgemein bekannt: Zum Beispiel beim Neukauf von elektrischen Geräten auf die Energieeffizienz achten. Weniger und langsamer Auto fahren. Weniger und bewusster Wäsche waschen. Sparsam mit warmem Wasser umgehen, also kürzer und weniger Duschen und noch weniger Baden. Der erste und wichtigste Schritt ist es eigentlich, sich der doch recht abstrakten Energiefrage im täglichen Leben zu nähern. Dadurch kann man vielleicht auch Energie mehr wertschätzen und mit mehr Bewusstsein einsetzen.
Welche Forschungsergebnisse haben Sie zuletzt begeistert?
Natürlich in erster Linie die aus den eigenen Projekten, die die vielen Kolleginnen und Kollegen erarbeitet haben. Zum Beispiel die Realisierung unseres Co-Simulations-Netzwerkes. Damit ist es möglich, firmenübergreifend über das Internet das komplexe Zusammenspiel unterschiedlicher industrieller Anlagen zu simulieren, ohne Firmengeheimnisse preisgegeben zu müssen. Dazu verwenden wir immer mehr Daten, die wir jetzt schnell messen können, um mit KI zu noch belastbareren Aussagen zu kommen.
Oder die praktische Umsetzung der Chemikalienherstellung aus Hochofengas in einem industriell relevanten Maßstab. Wir haben durch die Untersuchungen verstanden, wie genau die chemischen Reaktionen mikroskopisch am Katalysator funktionieren und vor allem auch, warum sie manchmal nicht funktionieren. Dadurch können wir sehr genau sagen, wie ein technischer Prozess auch im Dauerbetrieb erfolgreich sein wird.
Wie kann man sich Ihre Forschungsarbeit konkret vorstellen und mit welchen Methoden arbeiten Sie?
Unser Ziel ist der Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Praxis. Dazu arbeiten wir experimentell in Labor und Technikum an neuen chemischen, biologischen und physikalischen Verfahren. Meistens geht es dabei darum, zu verstehen, wie „Moleküle zusammenwirken“, um aus diesem Wissen Ideen zu generieren, wie diese Kenntnisse zum Nutzen von Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt eingesetzt können. Solche Erkenntnisse werden dann in der Theorie zu Systemen kombiniert. Dafür setzten wir sehr oft zunächst computergestützte Simulationen ein, um das Zusammenwirken der Effekte vorauszuschauen. Zunehmend kommt hier auch KI zum Einsatz. Abschließend versuchen wir, die Umsetzung zu demonstrieren. Oft heißt das konkret, dass wir technische Anlagen auf Basis der grundlegenden Erkenntnisse und mithilfe der Simulationsergebnisse bauen.
Sie arbeiten als Projektkoordinator an dem Verbundprojekt „Carbon2Chem“, das sich mit Hüttengasen der Stahlproduktion beschäftigt. Welche Ziele verfolgen Sie mit dem Projekt?
Der Projektname sagt es eigentlich schon: Carbon2Chem bedeutet, Kohlenstoff aus dem Klimagas CO2 zu nutzen, um daraus Rohstoffe für die Chemische Industrie herzustellen. Das ist dringend erforderlich, da CO2 eine der wenigen verbleibenden Kohlenstoffquellen für die Chemie ist. Zusammen mit 22 Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft erforschen und entwickeln wir Verfahren, um das zu ermöglichen. Zum Beispiel geht es darum, aus den unvermeidbaren Abgasen aus der Stahl- oder der Zementherstellung oder der Müllverbrennung Chemierohstoffe herzustellen. Das ist ein Schlüssel, um später Kohlenstoff im Kreislauf zu nutzen, ohne die Atmosphäre zu belasten.
Zur Person:
Prof. Dr.-Ing. Görge Deerberg ist Teil der Projektleitung des vom BMBF-geförderten Verbundprojekts „Wissenschaftskommunikation Energiewende“, in dem die Power2Change-Ausstellung gemeinsam mit Partnern aus der Forschung, dem Museumsbereich und der Wissenschaftskommunikation entwickelt wurde. Als stellvertretender Institutsleiter und wissenschaftlicher Direktor am Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT in Oberhausen arbeitet Deerberg mit seinem Team an Themen und Technologien der Umwelt- und Prozesstechnik.