Bärbel Renner, Geschäftsführerin der experimenta, spricht im Interview über die Herausforderungen und Visionen des innovativen Wissenschaftszentrums. Erfahren Sie, wie das Team die Themen Künstliche Intelligenz, Nachhaltigkeit und Diversität angeht und welche Rolle Bildung und Zusammenarbeit in diesem spannenden Umfeld spielen.
Interview: Robert Mucha; Fotos: experimenta
wissensstadt.hn: Frau Renner, fühlen Sie sich seit Juli 2022 anders, wenn Sie die experimenta betreten, als in den Jahren zuvor?
Prof. Dr. Bärbel G. Renner: Nicht wirklich (lächelt). Ich kam ja bereits im Januar 2017 als Bereichsleiterin Kommunikation/Verwaltung zur experimenta und hatte schon damals einen umfassenden Verantwortungsbereich. Bis heute fasziniert mich die Vielfalt, die es bei uns zu entdecken gibt. Unser Team setzt sich aus mehr als 70 Berufsgruppen zusammen – vom Astrophysiker bis zur Wirtschaftspsychologin, von der Biologin bis zum Schauspieler – und mich beeindruckt die Leidenschaft, mit der meine Kolleginnen und Kollegen die Dinge tun, jeden Tag aufs Neue. Und natürlich ist es ein wunderbares Gefühl, wenn man über den Experimenta-Platz geht und viele strahlende Besucher aus dem Haus kommen sieht.
wissensstadt.hn: Welche neuen Herausforderungen hat der Job als Geschäftsführerin für Sie bereitgehalten, die Sie vielleicht nicht erwartet hatten?
Prof. Dr. Bärbel G. Renner: Dass die repräsentativen Aufgaben noch zunehmen werden, war mir im Vorfeld bewusst – damit hatte ich gerechnet und die Kommunikation mit Menschen macht mir sehr viel Spaß. Als Herausforderung möchte ich die vielen gesetzlichen Vorgaben und Regelwerke bezeichnen, die ein Haus wie das unsere zu befolgen hat. Das reicht von dem Umgang mit Gefahrenstoffen in den Laboren, Sicherheitsrichtlinien im Science Dome bis hin zu unserer Wasserlandschaft in der vierten Ausstellungsebene; sie wird offiziell als „Kleinbadeteich“ eingestuft, was das Einhalten bestimmter hygienischer Anforderungen zur Folge hat. Und natürlich die Regeln der Binnenschifffahrt nicht zu vergessen, die für unser Schiff, die MS experimenta, gelten.
wissensstadt.hn: Sie gehören zu den „Spitzenfrauen Baden-Württemberg“. Was können sich ambitionierte junge Frauen von ihnen abgucken?
Prof. Dr. Bärbel G. Renner: Das ist ein Portal, das Frauen in Führungspositionen sichtbar machen möchte. Mein Tipp an junge Frauen ist: Zeigen Sie Engagement und Leistungsbereitschaft – und wagen Sie etwas! Mut wird meistens belohnt. Wichtig ist es auch, sich intensiv zu vernetzen und sich nicht zu scheuen, auch mal jemanden um Rat zu fragen, aber vorsichtig: nicht jeder Tipp passt dann auch für die eigene Person. Bleiben Sie auf jeden Fall authentisch! Und man kann sich sicher auf Führungspositionen vorbereiten, aber letztlich ist eine Karriere doch nicht planbar. Dafür bin ich das beste Beispiel (lacht). Nach 13 Jahren in der Verlagsbranche hatte ich zehn Jahre lang eine Professur an der DHBW inne. Ich war dort zudem in der Hochschulleitung und verantwortete die Gesamtkommunikation, als der Anruf eines Science Centers aus Heilbronn kam. Nach Wirtschaft und Hochschule also ein völlig anderes Feld – noch dazu für eine Germanistin und Historikerin!
wissensstadt.hn: Wie sieht Ihre Vision für die experimenta in Bezug auf die Nutzung von KI aus? Man hat das Gefühl, dass die neue Technologie wie eine Tsunamiwelle über die Menschheit herüber jagt …
Prof. Dr. Bärbel G. Renner: Durch weitere Entwicklungen im Bereich Künstliche Intelligenz und neue Anwendungsfelder verändert sich die Welt sehr, sehr schnell. Je einfacher jedoch das Beschaffen neuer Informationen wird, umso wichtiger wird deren Einordnung und Bewertung. Gerade hier sehen wir eine große Aufgabe unseres Hauses. Wir möchten Orientierung in einer komplexer werdenden Welt bieten. Chancen und Risiken erläutern. Für die Zukunft ist es wichtig, dass wir vor allem bei jungen Menschen die Freude wecken, Dinge zu verstehen und die Welt gestalten zu wollen. Gemäß unseres Mottos: „Nur wer die Welt versteht, kann sie verändern.“
wissensstadt.hn: Wie gehen Sie und ihr Team mit ethischen Herausforderungen um, die sich durch den Einsatz von KI ergeben werden? Schließlich kann man sich schnell Dutzende kritische Fragen und Argumente erschließen, welche Probleme zukünftig dies bezogen auf dem Plan stehen werden.
Prof. Dr. Bärbel G. Renner: In der experimenta spielen der Diskurs und die Reflexion eine wichtige Rolle – gerade bei einem sich extrem dynamisch entwickelnden Thema wie der Künstlichen Intelligenz. Mit unterschiedlichen Formaten möchten wir möglichst viele Menschen informieren und mit ihnen über die Anwendung neuer Technologien sowie deren Chancen und Risiken diskutieren: Beispielsweise bei unserer Science Lounge, einem interaktiven Austausch mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in entspannter Atmosphäre. Am 2. Mai beschäftigen wir uns dort zum Beispiel mit der Frage „Wie hilft uns Künstliche Intelligenz, nachhaltig zu leben?“. Ganz besonders freue ich mich persönlich auf das science & theatre-Festival, das wir im November zusammen mit dem Theater Heilbronn durchführen. Das Motto lautet „Utopie MenschMaschine?“. Mit spannenden, aber sicher auch polarisierenden Stücken und einem vielfältigen Rahmenprogramm werden wir für Gesprächs- und Diskussionsstoff zum Thema Künstliche Intelligenz sorgen. Und KI, Tanz und Theater werden zu einer besonderen Symbiose finden. Lassen Sie sich überraschen!
wissensstadt.hn: Ein weiteres Zukunftsthema der experimenta ist Nachhaltigkeit. Wie bezieht die experimenta Nachhaltigkeit in ihre täglichen Abläufe und Entscheidungen ein? Das Engagement ihres Hauses geht bekanntermaßen über die einfache Mülltrennung hinaus.
Prof. Dr. Bärbel G. Renner: In der experimenta verfolgen wir bei der Nachhaltigkeit einen ganzheitlichen Ansatz. Dafür ist es wichtig, dass wir jeden Prozess bei uns mit Blick auf Nachhaltigkeit kritisch hinterfragen. So finden Dienstreisen per Bahn statt, Waren- und Posttransporte per Elektrotransporter oder Lastenfahrrad. Wichtig ist dabei, die Menschen für das Thema zu sensibilisieren, damit sie ihr Handeln reflektieren – auch bei scheinbaren Kleinigkeiten wie einem Farbausdruck: ist er wirklich notwendig? Eine ökologische Vorbildfunktion hat unser 2019 eröffneter Neubau, der von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen mit dem Nachhaltigkeitszertifikat in Platin ausgezeichnet worden ist: Wärmepumpen sorgen im Gebäude dafür, dass 75 Prozent des gesamten Bedarfs an Heizwärme aus dem Grundwasser geliefert werdend, beim Kühlen übernimmt das Grundwasser sogar 100 Prozent. Das spart im Vergleich zu einer konventionellen Klimatisierung rund 200 Tonnen CO2 pro Jahr ein. Einen Impuls zum Nachdenken setzt die experimenta auch mit der energiesparenden Lichtinstallation „Atmendes Gebäude“. Von Einbruch der Dunkelheit bis 22:00 Uhr simuliert die reduzierte Beleuchtung am Neubau den Atemrhythmus eines schlafenden Menschen. Danach wechselt das Gebäude in den unbeleuchteten Zustand.
wissensstadt.hn: Die experimenta hat einen guten Ruf für ihre innovativen Ausstellungen und Projekte. Können Sie uns mehr über den Prozess der Entwicklung dieser Projekte erzählen? Wie geht Ihr Team zum Beispiel an das Brainstorming und die Planung von neuen Ideen heran?
Prof. Dr. Bärbel G. Renner: Ideen entwickeln, Skizzen zeichnen, Prototypen bauen, Tests machen – das sind nur einige der Arbeitsschritte, bis eine neue Mitmachstation in der experimenta an den Start geht. Dazu arbeiten viele erfahrene Kolleginnen und Kollegen zusammen, die – neben naturwissenschaftlicher Expertise – Know-how in Ausstellungstechnik, Didaktik, Bildungsforschung und Wissenschaftskommunikation besitzen. Doch wie reifen eigentlich die Ideen dazu? Hier hilft es, dass wir uns als lernende Organisation verstehen. Wir sind offen gegenüber Neuem und leben jeden Tag die vier „K‘s“: Kreativität, kritisches Denken, Kommunikation und Kollaboration.
wissensstadt.hn: Aktuell läuft die Sonderausstellung »Die Sonne – Der Mensch und das Licht« in der experimenta. Was zeigt die Ausstellung und wie thematisiert sie unser Verhältnis zu Energie, Nachhaltigkeit und Klimawandel?
Prof. Dr. Bärbel G. Renner: Die Sonderausstellung, die aus dem renommierten Science Museum London stammt, soll zu einem tieferen Verständnis führen, was die Sonne für unser Leben bedeutet. Im Mittelpunkt steht dabei die Beziehung der Menschen zur Sonne. In den vier Abschnitten Zeit, Gesundheit, Energie und Forschung wird eindrucksvoll deutlich, wie sehr wir dem glühenden Himmelskörper ausgeliefert sind. Und wer glaubt, die Geschichte der Solarenergie sei noch jung, wird eines besseren belehrt: Der erste solarbetriebene Satellit flog bereits 1958 ins All. 1979 ließ US-Präsident Jimmy Carter Solarpanels auf dem Weißen Haus installieren – als Botschaft während der Ölkrise. Eines dieser Original-Panels ist in der experimenta zu sehen. Ergänzend zur Ausstellung läuft der Film „Sonnenstürme – Spektakuläre Gewalten im All“ im Science Dome: Er blickt zurück auf den großen Sonnensturm von 1859 und zeigt, welche Kräfte auf der Sonnenoberfläche wirken und wie wir uns vor den Wirkungen solcher Sonnenstürme schützen können.
wissensstadt.hn: Welchen Stellenwert hat schließlich die aktive Beteiligung von Besucherinnen und Besuchern sowie Gästen an den verschiedenen Aktivitäten der experimenta aus pädagogischer Sicht?
Prof. Dr. Bärbel G. Renner: Die aktive Beteiligung hat einen hohen Stellenwert bei uns, denn Bildung muss Spaß machen! Und das geschieht, indem wir unsere Besucherinnen und Besucher miteinbeziehen, sie selbst ausprobieren lassen und sie bei uns kreativ sein dürfen. Bei uns stehen das eigene Entdecken, Erleben und Erforschen im Fokus. Wir wollen die Vielfalt der Welt für alle – egal ob Jung oder Alt – begreifbar und erlebbar machen. Langweilig wird es dabei nicht: So lernen die Menschen interaktiv an den Mitmachstationen in der Ausstellung, erfahren im Science Dome Wissen auf audiovisuelle Art, forschend in den Laboren, handwerklich in den Studios und im Maker Space. Unser großes Ziel ist ein intrinsisch motivierter Wissenserwerb, der ermutigt, ein Leben lang, Fragen zu stellen.
wissensstadt.hn: Neben KI und Nachhaltigkeit ist Ihnen für die Zukunft ihres Hauses auch das Thema Diversität wichtig. Sie haben sich dafür ausgesprochen, die Vielfalt in der experimenta zu fördern. Welche Maßnahmen werden ergriffen, um diese Ziele zu verwirklichen?
Prof. Dr. Bärbel G. Renner: Unser Ziel ist es, mit Wissenschaft alle zu erreichen. Dafür fördern wir Diversität und setzen Inklusion konsequent um. Durch spezifische, auch auf benachteiligte Gruppen zugeschnittene Angebote wie unsere Entdeckertage für Kinder mit Seh- und Hörbehinderung trägt die experimenta zu einem gerechteren Zugang zu Bildung und sozialem Zusammenhalt bei. Und dabei kann Inklusion auch mal bedeuten, dass man sehr bewusst, für gehandicapte Menschen exklusive Angebote macht und sie sich in einem geschützten Raum bewegen können. Für einen barrierefreien Besuch in der experimenta arbeitet ein Inklusionsteam kontinuierlich daran, unsere Angebote für Menschen mit Beeinträchtigung zu erweitern und verbessern. Ein aktuelles Beispiel für gelebte Vielfalt ist auch die Science Dome-Show „Zeit des Mondes – der Sternenhimmel im Ramadan“. Damit möchten wir über Kultur- und Religionsgrenzen hinweg Verständigung schaffen und zeigen, welche Rolle die Astronomie im Islam spielt und welche Bedeutung der Mond für den Fastenmonat Ramadan hat.
wissensstadt.hn: Wie sind Bildungseinrichtungen in die experimenta eingebunden und welche Art von Zusammenarbeit gibt es mit anderen Wissenschafts- und Forschungsorganisationen, um den Wissensaustausch zwischen allen Beteiligten zu verbessern?
Prof. Dr. Bärbel G. Renner: Als außerschulischer Lernort bietet die experimenta in acht Laboren und einer Experimentierküche über 70 unterschiedliche Laborkurse an, deren Spektrum vom Angebot für Kita-Gruppen bis hin zur Sekundarstufe II reicht. Im Jahr 2022 konnten wir rund 25.000 Kinder und Jugendliche von verschiedenen Schulen und Bildungseinrichtungen auf diese Weise fördern. Wir verstehen uns selbst als Marktplatz des Wissens, weshalb uns der Austausch mit anderen Wissenschafts- und Forschungsorganisationen sowie der internationalen Community der Science Center besonders wichtig ist: Bei der Entwicklung neuer Mitmachstationen und Showformate, bei Vorträgen und Konferenzen, aber auch in der Weiterbildung. Die Mitglieder der Wissensstadt Heilbronn liefern uns dafür wertvolle Impulse und ob bei der letzten Bildungskonferenz in Heilbronn oder beim KI Salon – es gibt viele gemeinsame Aktivitäten. Es ist ein großer Glücksfall für uns, dass wir in Heilbronn ein einzigartiges Bildungsökosystem besitzen, das sich stetig weiterentwickelt und außergewöhnliche Potenziale bietet.
wissensstadt.hn: Abschließend: Wenn Sie in die Zukunft blicken, was wünschen Sie sich für die weitere Entwicklung der experimenta in den nächsten Jahren? Auf welche Initiativen freuen Sie sich und welche Herausforderungen erwarten Sie auf dem Weg dorthin?
Prof. Dr. Bärbel G. Renner: Als Deutschlands größtes Science Center möchten wir noch sichtbarer werden. Mit der Ausrichtung der internationalen Konferenz für Wissenschaftskommunikation ECSITE im letzten Jahr ist uns das bereits gelungen; 950 Gäste aus 47 Ländern kamen nach Heilbronn. Das Finale des Bundeswettbewerbs Jugend forscht 2024 ist diesbezüglich der nächste große Meilenstein: wir erwarten rund 1.000 Teilnehmer aus ganz Deutschland. Inhaltlich möchten wir vor allem Begeisterung für Wissen und die Fragen der Zukunft schaffen. Und – wie schon gesagt – insbesondere junge Menschen ermutigen, unsere Welt aktiv mit zu gestalten. Nachhaltiges Handeln und der Abbau von Barrieren sind dabei wichtige Leitplanken für uns, um zu einer lebenswerten Gesellschaft beizutragen.