Text: Kathrin Stärk, Foto: Maybach Foundation
Vom Schreinerssohn zum Konstrukteurskönig
Einer der sicherlich berühmtesten Söhne der Stadt wurde am 9. Februar 1846 in Heilbronn geboren. Doch Wilhelm Maybach, der als namhafter Vertreter des deutschen Ingenieurwesens in die Geschichte eingehen sollte, hatte einen denkbar schwierigen Start ins Leben: Der Sohn des Schreiners Christian Maybach und seiner Frau Luise hatte vier Brüder. 1851 zog die Familie nach Stuttgart, nur drei Jahre später starb die Mutter. Der frühe Tod seiner Ehefrau gilt als Auslöser des Suizids des Vaters zwei Jahre darauf.
Freunde der Familie suchen darauf hin unter anderem mit einer Zeitungsannonce im »Stuttgarter Anzeiger« vom 20. März 1856 nach einer Möglichkeit, die Vollwaisen zu versorgen. Wilhelm Maybach wird vom Bruderhaus in Reutlingen aufgenommen, das der evangelische Theologe Gustav Werner und seine Frau Albertine gegründet hatten. Gustav Werner erkannte Wilhelms technische Begabung und vermittelte ihm eine Ausbildung als technischer Zeichner in der angeschlossenen Maschinenfabrik. Daneben bildete sich der junge Maybach in Physik und Mathematik weiter.
Wilhelms Vater stammte aus Löwenstein (https://www.stadt-loewenstein.de/stadt-loewenstein/persoenlichkeiten/wilhelm-maybach) und betrieb hier eine Werkstatt, die aber nicht genug Geld einbrachte, sodass er Arbeit in Heilbronn suchte. Die Geburt des Sohnes wurde übrigens standesamtlich eingetragen als »Wilhelm Maybach aus Löwenstein«. Die Familie war schon seit Jahrhunderten in dem Städtchen ansässig. Heute trägt die durch Löwenstein führende B 39 den Namen »Maybachstraße«. Eine Bronzetafel am Haus Nr. 38 erinnert an die Vorfahren von Wilhelm Maybach und deren Werkstatt.
In der Maschinenfabrik des Bruderhauses lernt Maybach in den frühen 1860er-Jahren Gottlieb Daimler kennen (https://www.mercedes-benz.com/de/classic/historie/wilhelm-maybach-koenig-der-konstrukteure). Nach seiner Ausbildung wird er Detailkonstrukteur in dieser Maschinenfabrik, die Gottlieb Daimler leitet. In dieser Zeit entwickelte sich eine beständige Freundschaft zwischen Maybach und dem zwölf Jahre älteren Daimler. 1869 wechseln sie gemeinsam nach Karlsruhe zu den Industriewerkstätten IWKA. 1872 wird Daimler Technischer Direktor der Gasmotorenfabrik Deutz in Köln und Maybach übernimmt die Leitung des dortigen Konstruktionsbüros. Er arbeitete intensiv an der Weiterentwicklung des Ottomotors sowie an der Konstruktion eines Benzinverdampfers, der die Verbrennungsleistung in Motoren optimieren sollte.
Bereits 1875 unternimmt er Versuche mit flüssigem Kraftstoff an einem umgebauten Gasmotor. Im Auftrag von Deutz reist Maybach 1876 in die Vereinigten Staaten von Amerika und präsentiert seine Arbeit auf der Weltausstellung in Philadelphia. Über seinen älteren Bruder Karl knüpft er dort Kontakte zum Klavierbauunternehmen Steinway & Sons. 1888 soll sich Daimler gemeinsam mit Steinway den nordamerikanischen Markt erschließen.
Auch seine Privatleben ist eng mit der Familie verknüpft: 1879 heiratete Wilhelm Maybach Bertha Habermass, eine enge Freundin der Daimlers. Doch die Ehe, aus der die beiden Söhne Karl und Adolf hervorgehen, scheitert. Auch beruflich werden die beiden in Köln nicht glücklich. Daimlers Vision eines kompakten, schnell laufenden Verbrennungsmotors auch als Fahrzeugantrieb, lässt sich in dem Unternehmen nicht verwirklichen. Gemeinsam verlässt das kongeniale Duo 1882 die Gasmotoren-Fabrik Deutz und macht sich in Cannstatt bei Stuttgart selbstständig.
Die finanzielle Basis für die Unternehmung bilden 112.000 Reichsmark in Deutz-Aktien, die Daimler als Lohn für entstandene Patente erhielt. In dieser ersten Werkstatt, einem Gewächshaus, fertigen sie leistungsstarke und kleinere Benzinmotoren. Maybach konstruiert etwa den ersten schnelllaufenden Einzylinder-Viertaktmotor, später die sogenannte »Standuhr« sowie den »Reitwagen«, das weltweit erste Motorrad, und 1886 schließlich die »Daimler-Kutsche«. Das Automobil ist erfunden!
Wilhelm Maybach entwickelt um 1900 bahnbrechende Motoren und Fahrzeuge, die Mobilität und Automobilbau bis heute prägen. Im Jahr 1895 begann die Daimler Motor Corporation mit der Produktion von Personenwagen mit Maybachs Phoenix-Motoren. Im Jahr 1900 gab der Konsul und Automobilist Emil Jellinek einen völlig neuen Wagen für Rennzwecke in Auftrag. Maybachs Antwort: ein 90 km/h schnelles Fahrzeug mit 35 PS, das den Grundstein für das moderne Automobil legte – der Mercedes I.
Der Mercedeswagen ist die Sensation der Jahrhundertwende. Beim Rennen von Nizza im März 1901 erzielt er beispiellose Erfolge. Paul Meyan, der Präsident des französischen Automobilclubs, sagt damals: »Wir sind in die Mercedes-Ära eingetreten.« Die Serienversionen auf Basis des Mercedes 35 PS, der Mercedes Simplex, wird – erneut – ein Welterfolg. In den folgenden Jahren bis 1904 entwickelt Maybach das Fahrzeugkonzept vom Mercedes Simplex 40 PS über den Simplex 60 PS bis zum Simplex 90 PS weiter. Doch nach Daimlers Tod am 6. März 1900 hat Maybach nicht mehr den vollen Rückhalt im Unternehmen.
Seine technische Entwicklungsarbeit wird indes in einem anderen Bereich zunehmend wichtig, nämlich für die damals von Ferdinand von Zeppelin eingesetzten Flugzeugmotoren. Statt sich auf seinen Erfolgen auszuruhen, gründet Wilhelm Maybach 1909 zusammen mit Graf von Zeppelin die Luftschiffmotorenwerke GmbH in Bissingen und legte damit den Grundstein für eine weitere Erfolgsgeschichte, die sein Sohn Karl später in Friedrichshafen fortschreiben sollte.
Dort tauchen 1983 bei der MTU (der früheren Maybach Motorenbau GmbH), einem der weltweit führenden Hersteller von Großdieselmotoren und kompletten Antriebssystemen vier Originalräder eines Maybach SW 38 auf. Diese Räder werden der Heilbronner Wilhelm-Maybach-Schule überlassen. Ausgangspunkt für dieses einmalige Schulprojekt: Die gewerbliche Berufs- und Fachschule trägt den Namen des genialen Konstrukteurs, dessen Lebensweg Vorbild sein soll für die Schüler*innen. Fünf Jahre später erwirbt die Schule einen SW-38-Rahmen – Startschuss für das zunächst wohl wenig aussichtsreiche Unternehmen, an der Schule ein ganzes Maybach-Automobil zu bauen.
1989 kommt ein 4,2-Liter-Maybach-Motor dazu. Die Restaurierungsarbeit verteilt sich auf viele Schultern: den Auszubildenden der Schule, etlichen Lehrern – allen voran Klaus Schellenberger, Werner Gatzka und Schulleiter Willi Glasze –, einige Veteranen der Maybach-Motorenbau GmbH in Friedrichshafen und der professionelle Restaurator Thomas Dangel.
Unzählige Arbeitsstunden kostet es, die Teile wieder funktionsfähig zu machen. 1996, zum 150. Geburtstag von Wilhelm Maybach, ist das Fahrgestell fertig. Es sollte weitere fünf Jahre dauern, bis der originalgetreue Maybach SW38 komplett und fahrtüchtig ist. Das Schulmobil avanciert darauf sogar zum Filmstar und reist für Drehs zu »Die Geisha« nach Hollywood und Japan. Wilhelm Maybach, der am 29. Dezember 1929 in Cannstatt starb, hätte sicher seine helle Freude daran gehabt.