Thomas Roth – Ein Mahner für den Frieden mit beeindruckender Journalistenkarriere

Text: Kathrin Stärk, Fotos: Heilbronner Stimme (Ralf Seidel & Mario Berger), Simon Mannweiler

»Kommen Sie gut durch die Nacht«

Thomas Roth: Ein Mahner für den Frieden mit beeindruckender Journalistenkarriere

»Wir alle haben nur ein Ziel: Nie wieder!«, sagte er am 11. Juni 2020 in einem Videostatement zu 75 Jahre Ende des Zweiten Weltkrieg. Den Frieden zu erhalten beschäftigte Thomas Roth schon als junger Mann, der auf eine beeindruckende journalistische Karriere voller spannender und dramatischer Stationen zurückblicken kann. Ein gebürtiger Heilbronner, der als Schüler gerne einen Kaffee im Café Janssen getrunken hat. 

Dort gab es frisch gerösteten Kaffee, dessen Bohnen aus der ganzen Welt nach Heilbronn importiert wurden. Ob da seine Reiselust geweckt wurde? Zur Ausbildung blieb er in Baden-Württemberg, erst später kam er ganz schön rum – als ARD-Korrespondent in Südafrika und Russland, Hörfunkdirektor des WDR in Köln, Chef des ARD-Hauptstadtstudios in Berlin und Korrespondent in New York. Ganz zum Schluss, daran werden sich viele erinnern, moderierte er für drei Jahre das journalistische Flaggschiff im Ersten, die Tagesthemen.

»Kommen Sie gut durch die Nacht.« Dieser Satz war mehr als ein Markenzeichen, keine Floskel. Ermutigend und beruhigend war dieser Schlusssatz, nachdem Thomas Roth als Moderator der Tagesthemen durch das Weltgeschehen geführt hatte. Er zeichnete sich dadurch aus, dass er einordnen, erklären kann. Und dass er unaufgeregt, aber keinesfalls kühl, empathisch, aber nicht emotional durch manchmal undurchsichtige Lagen manövrierte. 

Denkwürdig, wie Roth beim Amoklauf in München im Juli 2016 einen kühlen Kopf bewahrte und über Stunden livemoderierte, –– obwohl so vieles unklar und noch Mutmaßung war. Trotzdem versuchte er, die immer neuen Spekulationen mit Fakten zu verbinden. Kein Anlass, den man sich wünscht, die Unsicherheit war bedrückend, das Unglück plötzlich so nah. In SWR 1 Leute blickte er vier Monate später zurück auf diesen Abend im Studio der Tagesthemen: »Dreieinhalb Stunden Live-Berichterstattung sind ein bisschen wie eine OP am offenen Herzen.« Erst als er morgens um halb zwei das Studio verließ, klärte sich langsam alles auf. Vorher gab es journalistisch große Konfusion: »Es quält einen als Journalisten, wo man Infos herbekommt. Du rührst ungern im Nebel.« 

Am 2. Oktober 2016 endete für den damals 64-Jährigen eine große Journalistenkarriere. Und um das gleich mal klarzustellen: Tagesthemen-Moderator war nicht sein Traumjob. Denn Roth war in erster Linie Reporter, kein »Mr. Tagesthemen«. Trotzdem war dies die Krönung eines großen Journalistenlebens. Die Moderation der Tagesthemen wäre für jede*n eine Ehre. So ein Angebot schlägt man nicht aus. Undtrotzdem, –– auch wenn er das immer wieder gefragtwurde, –– hat er darauf nicht sein Leben lang gewartet. 

Sein letzter Abend bei den Tagesthemen war – zumindest von außen betrachtet – recht unaufgeregt. Er beendete seine Karriere mit den Worten: »Wie sagt man so schön: It’s Time To Say Goodbye. 38 Jahre durfte ich Sie aus vielen Ländern und Kontinenten informieren. Vieles war schön, manches schwierig und gefährlich. Das gehört zum Beruf des Journalisten.« Roth, ein an sich ruhiger, aber doch unsteter Geist, über Jahrzehnte in der ganzen Welt unterwegs war immer auf Recherche.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

Sein großes Vorbild war Hanns-Joachim Friedrichs – hoch seriös und kompetent, weißhaarig und erfahren. Beide wollten sich nicht als »Mr. Tagesthemen« ins TV-Gedächtnis der Nation einschreiben, sondern arbeiteten stets daran, die hehren Grundsätze des Journalismus hochzuhalten. Und dazu gehört auch der viel zitierte Friedrichssche Imperativ, den jeder Volontär in der ARD an einem seiner ersten Tage hört: »Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemeinmacht mit einer Sache – auch nicht mit einer guten Sache.« Position beziehen und für eine Überzeugung eintreten, dafür hat auch der Journalismus seine Formen. Den Kommentar etwa. Und in denen positionierte sich Roth immer klar, wie in der tagesschau.de vom 8.9.2015: »Unser Job als Journalisten ist es, darüber zu informieren, dass man die Hetze gegen Flüchtlinge nicht hinnehmen muss.« 

Als ehemaliger Auslandskorrespondent verfügt Roth über reichlich Erfahrung mit repressiven Regimen, die Presse- und Meinungsfreiheit gewaltsam unterdrücken. Für ihn gehören Demokratie und Pressefreiheit untrennbar zusammen. Aus seinen Erfahrungen heraus wurde »Frieden« für ihn zum großen Leitmotiv. Auch jetzt, im Ruhestand, erinnert er immer wieder daran, welch großes Glück, welch wichtige Errungenschaft der Frieden in Europa ist. Indem eingangs erwähnten Video spricht er über die aktuellen Krisen, die Frieden und Freiheit herausfordern und gemahnt eindringlich: »Nur gemeinsam wird es uns gelingen, unsere Gesundheit, aber auch den Frieden in unserer Gesellschaft zu wahren. (…) Friedensarbeit ist schwierig, ist mühsam und es ist langwierig, bis Vertrauen wieder entstehen kann.«

Das Friedensthema begleitet ihn seit seiner ersten beruflichen Station als Volontär: Der Süddeutsche Rundfunk in Stuttgart und die Sendung POINT, was für Pop, Orientierung, Information, Notizen, Tipps stand. In dieser Jugendsendung ging es um Themen wie Jugendarbeitslosigkeit, Studienplatzmangel, Nachrüstung und Friedensbewegung, aber auch Alkohol- und Drogenmissbrauch. Die Macher sahen sich als kritisches Sprachrohr und eckten immer wieder an, etwa mit einer Live-Diskussion von Rudi Dutschke mit Hörern oder dem Auftritt der schwulen Musikkabarettgruppe »Brühwarm« aus Hamburg.

Zu den Machern der zweiten Generation ab 1981 gehörte neben Thomas Roth auch Wolfgang Hei. In ihrem SWR 1-Leute-Gespräch erinnern sie sich an diese Zeit, in der sie auch Aktionen wie »Eine Minute Schweigen für den Frieden« in Stuttgart begleiteten. »Ich habe das als engagierten Journalismus erlebt«, sagt Roth. Die Stimmung zu Beginn der 1980er-Jahre war in seiner Erinnerung bedrückend und geprägt von Angst vor der Polizei. Es entstand die Friedensbewegung, man protestierte gegen Nachrüstung. Und POINT bildete ab, was sich in der Gesellschaft tat. 

Blickt man auf Roths berufliche Stationen, so war er immer zur rechten Zeit an den spannendsten Orten der Welt: Neben seinen Tätigkeiten als ARD-Korrespondent in Moskau war Thomas Roth schon häufig für die ARD journalistisch im Ausland tätig. So unterstützte er ab 1987 das Korrespondenten-Büro in Kairo, in dem zahlreiche Filme aus Fernost und Berichte aus dem ersten Golfkrieg entstanden. Danach arbeitete er als Korrespondent und Studioleiter des ARD-Büros Südliches Afrika in Johannesburg. Nach einem Intermezzo in Moskau wurde er 1992 stellvertretender Leiter des Programmbereichs Ausland im WDR und später auch WDR-Hörfunkdirektor.

Die Zeit in Südafrika hat den Russlandkenner und -liebhaber am stärksten beeindruckt: »Als Nelson Mandela nach 27 Jahren aus dem Gefängnis entlassen wurde, liefen mir die Tränen herunter. Das war so berührend.« Für Roth war Mandela ein Friedensbringer, der allen Grund gehabt hätte, das Land anzuzünden – stattdessen brachte er seine Botschaft der Versöhnung. 

Sein Herz aber hängt besonders an Russland, wo er sich insgesamt zehn Jahre seines Lebens zu Hause gefühlt hat. Er mag die Kultur, die Menschen und besucht regelmäßig Freunde dort. Auch beruflich ist er dem Land nahegekommen, nicht zuletzt auch Wladimir Putin, den er insgesamt fünfmal interviewt hat. Kennengelernt hat er ihn noch als Geheimdienstchef: »Er war fast schüchtern, sehr witzig, hatte eine guten, fast sarkastischen Humor. Doch seither hat er sich verhärtet, auch seine Politik hat sich verändert.« Jetzt laute das Credo: »Make Russia great again«.

Woran er sich ebenfalls gerne erinnert, ist Obamas Wahlnacht 2008: »Das war sehr erhebend. Die Leute sind singend durch die Straßen von New York gelaufen.« In dem Gespräch vor vier Jahren, Donald Trump hatte gerade die Wahl gewonnen, äußerte Roth die Hoffnung, das Amt möge ihn mäßigen. »Offenbar haben wir Europäer und wir Journalisten unterschätzt, welch bildungsfernes und möglicherweise reaktionäres Potenzial es in den USA gibt«, sagt er. Das könnte man genauso gut nach der gescheiterten Wiederwahl im Herbst 2020 sagen…  

Gerade jetzt sind gute Journalisten gefragt. Es geht nicht darum, der beste »Geschichtenerzähler«, »Dolmetscher« oder »Aufklärer« zu sein. Aus Roths Sicht stellt guter Journalismus immer die Menschen in den Mittelpunkt, betont er in einem Interview mit der Uni Heidelberg, wo er ab 1971 Anglistik und Germanistik studierte: »Nicht wir Journalisten sind wichtig, sondern die Menschen, über die wir berichten. Ich glaube, dass dazu auch ein Quantum an Empathie gehört. Eine innere Beteiligung muss spürbar sein, ohne dass man ein direkt Beteiligter ist.« Gute Journalisten sind also immer alles zusammen: Geschichtenerzähler, Dolmetscher und Aufklärer.

Als er damals zu studieren begann, hatte er noch keinen konkreten Beruf vor Augen. Er interessierte sich zwar für Journalismus, doch das konkretisierte sich erst im Lauf der Studienjahre: »Ich wollte unbedingt Literaturwissenschaft studieren und möglichst viel ‚aufsaugen‘. Das mag heute etwas seltsam klingen, aber über den späteren Beruf habe ich mir zu Beginn des Studiums nur wenig Gedanken gemacht. Ich fürchte, die heutigen Studenten haben dieses Privileg nicht mehr.« Auch wenn die Branche seit Jahren von Krisen gebeutelt wird, hat er für junge Menschen einen guten Rat: Nämlich das zu tun, was man gerne tut, wofür man »brennt«. 

Jungen Praktikant*innen oder Student*innen habe er immer gesagt: »Finde heraus, was du wirklich willst, wo deine Mitte ist und wo deine Leidenschaft. Und dann mach genau das, denn dann bist du auch gut darin.« Das sei nicht einfach, aber viel wichtiger, als zu viel auf Berufsberater zu hören. »Auch als ich in dem Beruf vor beinah 35 Jahren begann, ist mir wegen schlechter Aussichten von »vernünftigen« Menschen abgeraten worden. Weil es aber meine Leidenschaft war, die ich entdeckt hatte, habe ich nicht darauf gehört. Ich habe es nie bereut.« Die Herausforderungen haben sich allerdings nicht nur für Journalisten gewandelt, gibt Roth zu bedenken: »Politiker ist ein harter Job geworden. Ich habe großen Respekt vor Spitzenpolitikern. Gerade bei Frauen, wo vieles eine sexistische, üble Komponente hat. Das durchzuhalten: Chapeau!«

Auch sonst fallen ihm Missstände auf. Im Radiogespräch 2016 sagt er: »Ich bin sehr beunruhigt, wenn ich auf Europa schaue und habe das Gefühl, dass populistische Stimmungen um sich greifen. Wir dürfen nicht vergessen, wo wir herkommen – aus Krieg und Zerstörung. Europa war eine Friedensmission, die dürfen wir nicht drangeben!« Statt den großen Vereinfachern zu folgen, müssten wir für ein freies, liberales Europa kämpfen – einschließlich der Pressefreiheit. Und die Aufgabe der Journalisten sei es, den Leuten ins Gedächtnis zu rufen, dass wir gerade eine einmalige Friedensperiode erleben: »Ich setze auf dieses Europa!«

Doch trotz dieser unsicheren Zeit, in der »ausgerechnet ein Virus unsere Solidarität so hart, so plötzlich auf die Probe stellt«, müssten wir lernen, dass es uns nur gemeinsam gelingen werde, unsere Gesundheit, aber auch den Frieden in unserer Gesellschaft zu wahren, sagt er in dem Volksbund-Video. Wer genau hinschaut, entdeckt im Bücherregal hinter ihm, relativ prominent platziert, Nelson Mandelas »Der lange Weg zur Freiheit«. Thomas Roth hätte sicher nichts dagegen, wenn das letzte Wort dem großen Freiheitskämpfer gehört, der in seinem kleinen Vorgarten in Soweto zu dem ARD-Korrespondenten sagte: »It’s always better to be an optimist than a pessimist, my friend.«

Melden Sie sich für unseren Newsletter an!