Wenn Chaos auf Licht trifft: Eine Kunstausstellung zwischen Hörsälen und Hoffnung

Von Robert Mucha, Foto: DHBW Heilbronn

In den Fluren der DHBW Heilbronn hängen neuerdings Bilder, die von Regenschauern auf Kreta und dem Ur-Chaos erzählen. Zwei Stuttgarter Künstlerinnen haben ihre Werke zwischen Seminarräumen und Cafeteria aufgehängt – und damit eine Frage aufgeworfen: Was macht Kunst an einem Ort, an dem normalerweise Excel-Tabellen und Betriebswirtschaftslehre zu Hause sind?

Es ist ein seltsamer Moment, wenn sich die Fahrstuhltür im zweiten Stock der DHBW Heilbronn öffnet und plötzlich ein Sturm auf Kreta tobt. Angelika Heinkels Bild „Lutro“ hängt genau dort, wo man es am wenigsten erwartet: zwischen funktionalen Wegweisern und Stundenplanaushängen. Man kann den Regenschauer, der dort in einem Sturm gegen die Fenster peitschte, förmlich fühlen – ein merkwürdiger Kontrast zu den Geräuschen eines Hochschulbetriebs, der normalerweise von Kopierern und Kaffeeautomaten geprägt ist.

„CHAOS durchlichtet“ heißt die Ausstellung, die Heinkel gemeinsam mit Regine Fischer in den hellen Fluren der DHBW zeigt. Ein Titel, der wie eine Beschreibung des Hochschulalltags klingen könnte, aber tatsächlich von etwas anderem erzählt: von der Kunst, aus dem Durcheinander des Lebens etwas Eigenes zu schaffen.

Kunst und Hochschule – das war nicht immer eine selbstverständliche Verbindung. Doch Rektorin Prof. Dr. Nicole Graf hat schon früh verstanden, dass Bildung mehr braucht als Lehrpläne und Prüfungsordnungen. Bereits vor 14 Jahren, mit der Einweihung der Gebäude am Bildungscampus Ost, fand die erste Ausstellung in den Fluren der DHBW statt. Seitdem gehört Kunst zur DNA der Studienakademie – eine bemerkenswerte Entscheidung für eine Institution, die sich eigentlich der angewandten Betriebswirtschaft verschrieben hat.

Im Gespräch mit Graf erzählt Regine Ursula Fischer, Künstlerin und Designerin, von einem umgekehrten Pareto-Prinzip der Kunst: „80 Prozent eines Bildes entstehen locker und schnell, aber die Spannung erzeugt man oft mit den letzten 20 Prozent – und das braucht Zeit, manchmal Wochen, Monate, vielleicht auch ein Jahr.“ Es ist eine Erkenntnis, die seltsam vertraut klingt für alle, die schon einmal versucht haben, eine perfekte Präsentation oder eine wasserdichte Argumentation zu entwickeln.

Angelika Heinkel, die andere Hälfte des Künstlerduos, erinnert sich noch lebhaft an ihr erstes Bild: eine Tierlandschaft, gemalt mit Ölfarben, die sie sich von ihren Eltern gewünscht hatte. „Dieses erste Bild hat eine Tür geöffnet: die Kraft der Kunst, sich mit Emotionen auseinanderzusetzen und daraus etwas Eigenes zu schaffen.“ Ein Satz, der in seiner Schlichtheit eine ganze Philosophie enthält.

Beide Künstlerinnen sind das, was man heute Multitalente nennt: Heinkel arbeitet als Kunsttherapeutin und Heilpraktikerin, Fischer als Raumdesignerin. Sie leben in Stuttgart, kennen und schätzen sich seit vielen Jahren. Nach ihrem Kunststudium an der Staatlichen Akademie für Bildende Kunst absolvierte Heinkel eine Ausbildung zur Kunsttherapeutin – ein Beruf, in dem sie nun seit über 20 Jahren tätig ist. Fischer, Diplom-Designerin, verfolgte nach ihrem Studium in Schwäbisch Gmünd ihre vielfältigen Talente mit Fortbildungen in Geomantie und NLP-Kursen.

Es sind Biografien, die von einer Generation erzählen, die nicht mehr zwischen „Brotberuf“ und „Berufung“ unterscheiden wollte, sondern beides zu verbinden suchte. Frauen, die in den 1980er und 90er Jahren studierten, als Kunsttherapie noch ein exotisches Fach war und sich Designerinnen noch gegen den Vorwurf wehren mussten, keine „richtige“ Kunst zu machen.

In der DHBW zeigt Fischer zwölf großformatige Bilder aus einer Schaffensperiode von zehn Jahren: „Von üppigen Aktbildern über lasierte Landschaften und Blumen bis hin zu abstrakten Alltagsgegenständen ist für jeden etwas dabei.“ Eine Beschreibung, die so klingen könnte, als wolle man es allen recht machen – und die doch von etwas anderem erzählt: von der Vielfalt eines Lebens, das sich nicht auf eine Sache festlegen lassen will.

Heinkel malt mit Hand und Finger, und in ihren Werken schimmert, wie sie sagt, „das Ur-Chaos durch“, während Fischers Landschaften „lichtdurchflutet“ sind. Es sind zwei Ansätze, die sich ergänzen wie Frage und Antwort: das eine dunkel und erdig, das andere hell und transzendent.

Kunst, davon ist die Therapeutin Heinkel überzeugt, kann „den Alltag vergessen lassen, uns in einen Flow bringen und Stabilität geben.“ Fischer will mit ihrer Kunst „dazu einladen, auf eine Forschungsreise zu gehen und bei jedem Blick etwas Neues zu entdecken.“ Zwei Sätze, die wie Werbetexte klingen könnten, aber in diesem Kontext etwas anderes sind: Bekenntnisse zweier Frauen, die ihr Leben der Überzeugung gewidmet haben, dass Kunst mehr ist als Dekoration.

Zwischen den Seminarräumen der DHBW, wo normalerweise über Quartalszahlen und Marktanalysen diskutiert wird, hängen nun Bilder, die von Regenschauern auf Kreta und abstrakten Alltagsgegenständen erzählen. Es ist eine seltsame Nachbarschaft, die aber vielleicht gerade deshalb funktioniert: weil sie zeigt, dass das Leben mehr Dimensionen hat, als sich in Businessplänen abbilden lassen.

Pablo Picasso wird zitiert mit seinem Ausspruch über den „Staub des Alltags“, den man sich von der Seele waschen müsse. Ein großes Wort für eine kleine Ausstellung in den Fluren einer Hochschule. Aber vielleicht ist es genau das, was Bildung ausmacht: nicht nur Wissen zu vermitteln, sondern auch Räume zu schaffen, in denen Menschen sich begegnen können – mit Ideen, mit Emotionen, mit dem Chaos und dem Licht, aus dem das Leben besteht.

Die Ausstellung ist bis September geöffnet, montags bis freitags von 8 bis 17 Uhr. Wer kommt, wird vielleicht nicht nur Bilder sehen, sondern auch verstehen, warum eine Hochschule für angewandte Wissenschaften ihren Fluren Kunst gönnt: weil beides zusammengehört – das Denken und das Fühlen, die Analyse und die Intuition, das Chaos und das Licht.

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