Heilbronn setzt auf Künstliche Intelligenz und schafft ein Gravitationszentrum, das weit über die Region hinaus wirkt. Doch die Unternehmen in direkter Nachbarschaft halten sich noch zurück.
Von Christian Gleichauf, Foto: Robert Mucha/Midjourney
Es sind häufig die gleichen Namen. Schunk, IDS, EBM-Papst und Würth sind dran am Thema Künstliche Intelligenz. Porsche hat sein Büro im Heilbronner IPAI bereits bezogen. Doch große Teile des Mittelstands brauchen für das Thema KI offenbar noch Zeit. Und damit steigt das Risiko, den Zug zu verpassen.
“Ich habe viele Stunden damit verbracht, mit Mittelständlern zu sprechen. Und viele wissen noch nicht einmal, was KI wirklich ist”, sagt Thomas Neubert, der seit 32 Jahren im Silicon Valley lebt und sich inzwischen auch für den transatlantischen Austausch zum Thema KI einsetzt. Offenbar gibt es da noch viel zu tun: “Manchen muss man erklären, was ein Datensatz ist.”
Europa könnte beim Thema KI endlich den Anschluss finden
Dennoch glaubt Neubert an Europa, an Deutschland, was nicht immer so war. “Ich habe Europa davor in sechs Jahren nur einmal besucht, aber war 15 Mal in China.” Die Schwerfälligkeit hat Europa bei der Künstlichen Intelligenz aber abgelegt, ist er überzeugt. Inzwischen berät er die EU-Kommission. “Wir werden hier in den nächsten zehn Jahren eine unglaubliche Entwicklung sehen”, sagt Neubert. Damit meint er auch Heilbronn. “Wenn ich heute als 20-Jähriger ein Start-up gründen würde, dann wäre Heilbronn der Ort, um das zu tun.”
Die 20-Jährigen haben das bereits verstanden. Sie stehen Schlange, um in den Genuss der Förderungen zu kommen, die von der Dieter-Schwarz-Stiftung und dem Zukunftsfonds Heilbronn – ebenfalls ausgestattet mit Kapital von Dieter Schwarz – angeboten werden. Die Programme heißen Venture Studio oder AI Founders. Die Frage ist, ob eines dieser jungen Unternehmen das Zeug zum Unicorn hat, zu einem Tech-Unternehmen mit Milliardenbewertung.
Wie wäre es mit der deutschen Alternative zu ChatGPT?
Es bräuchte sehr langen Atem, sehr viel Glück und auf jeden Fall sehr viel Geld, um einen vielversprechenden Kandidaten nach Heilbronn zu holen.
Aleph Alpha wäre ein solcher. Die Bewertung des ChatGPT-Konkurrenten aus Heidelberg soll bald schon bei rund einer halben Milliarde Euro liegen. SAP wird Interesse nachgesagt, auch der Chipriese Intel hat womöglich einen Plan, mithilfe der Deutschen Boden gegenüber seinen Konkurrenten gutzumachen. Gründer Jonas Andrulis hat Heilbronn zumindest schon einmal auf seiner persönlichen Landkarte.
Beim Meetup von AppliedAI im IPAI erläutert er, welche Möglichkeiten das Sprachmodell “Luminous” von Aleph Alpha bietet. Verlässlichkeit ist das zentrale Thema. “Unsere Kunden wollen Reproduzierbarkeit, sie brauchen Quellenangaben”, sagt der 41-Jährige. Denn was brächten konkrete, spezifische Antworten, die sich als falsch herausstellen? Bei manchen Themen lasse sich durch eine schnelle Google-Recherche herausfinden, was nicht stimmt. Aber bei qualitativen Antworten, bei denen nach einer Einschätzung gefragt werde, sei das schwierig. Das neue KI-Modell von Aleph Alpha werde diese Art von Überprüfbarkeit bieten. Zielgruppe sind Unternehmen, die dafür bezahlen.
Lehrgänge, Zertifikate – vieles muss nur noch in Anspruch genommen werden
Unternehmen gehen mit dem Thema allerdings sehr unterschiedlich um. Damit auch kleinere und mittlere Unternehmen, die sogenannten KMUs, hier eine Chance haben, braucht es gut ausgebildete Lotsen – außerhalb und innerhalb des Betriebs. “Wir ermöglichen, mit der Veränderung umgehen zu können”, sagt beispielsweise Sabine Hebenstrick von der DIHK-Bildungs-GmbH.
Diese Tochterfirma der Deutschen Industrie- und Handelskammer bietet dazu inzwischen den Zertifikats-Lehrgang zum KI-Manager an, der gemeinsam mit AppliedAI entwickelt wurde. Und der richtet sich auch genau an jenen Mittelstand, der sich noch so schwer tut mit dem Thema.
Neubert, Andrulis und viele weitere KI-Experten kommen inzwischen nach Heilbronn. Das AppliedAI-Meetup etwa findet parallel in München und Heilbronn statt. In München, zu Gast bei Siemens, sagt Björn Ommer, Professor für KI und Kulturanalytik an der Ludwig-Maximilian-Universität: “Wir sind an einem Wendepunkt.” Die Auswirkungen einer Revolution seien immer schwer abzuschätzen. “Aber sie werden tiefgreifend sein.”
Wo bleibt die Resonanz?
Mit den möglichen Folgen setzen sich allerdings offensichtlich noch nicht alle Unternehmen auseinander. Am Freitag lud die IHK zu einer ähnlichen Vortrags- und Netzwerkveranstaltung von AppliedAI, ebenfalls in den IPAI. Von 75 angemeldeten Besuchern kamen 40, weniger als die Hälfte davon aus den regionalen Unternehmen – von denen es viele Tausende in Heilbronn-Franken gibt.
Auch für IHK-Präsidentin Kirsten Hirschmann keine befriedigende Situation. “Die Unternehmen müssen jetzt Initiative zeigen.” Allerdings sei es nicht die letzte Veranstaltung zum Thema. Künftig müsse zudem auch über eine größere Lokalität nachgedacht werden. Das Thema KI soll in der Breite ankommen. “Alle, die heute da waren, haben gesagt: Wow.”
Wie KI und Old Economy zusammenfinden
Ohne Orientierung in das Thema KI zu starten, davor warnt Johanna Farnhammer von der KI-Initiative AppliedAI. “Das wird schnell chaotisch.” Es brauche Expertise, die auch im eigenen Haus herangezogen werden könne. Ein Startpunkt sei etwa der kostenlose Anwendungskurs “KI-Kompetenz für Ihr KMU”. Sie empfiehlt zudem, sich Know-how über junge Start-ups dazuzuholen. Davon würden in der Regel beide Seiten profitieren. Der richtige Ort, um an diese Start-ups heranzukommen, seien etwa das TUM Venture Lab, das auch nach Heilbronn kommt, oder das Inkubatorprogramm AI Founders der Campus Founders. Farnhammer ist zudem für das bayerische Förderprogramm KI Transfer Plus zuständig – das auch nach Baden-Württemberg kommen soll.
Mit freundlicher Genehmigung der Stimme Mediengruppe & der Heilronner Stimme