Von Robert Mucha, Foto: Ideogram/Robert Mucha
Die Stadt denkt vertikal – und flüssig. Während auf dem Neckar bald ein Cabrio-Schiff kreuzt, sollen auf Heilbronns Dächern Rooftop-Events die Urbanität neu definieren. Die Ideen stammen von DHBW-Studierenden der Wissensstadt, die zwischen TUM-Campus und experimenta eine neue Kultur des Feierns entwerfen. Eine Überraschung für eine Stadt, die bisher eher für bodenständige Tugenden bekannt war.
An manchen Abenden, wenn die Sonne über dem Neckar versinkt und der Bildungscampus im letzten Licht des Tages glänzt, wirkt Heilbronn fast ein bisschen wie eine Metropole. Fast. Denn trotz TUM-Campus, experimenta und Ipai fehlt der Stadt noch etwas Entscheidendes: urbanes Leben nach Feierabend.
Das könnte sich bald ändern. Ab 5. April wird auf dem Neckar wieder regelmäßig ein Ausflugsschiff seine Runden drehen. Die „MS Käthchen“ – benannt nach der Literaturikone der Stadt – wird als Cabrio-Schiff bis zu 120 Menschen über den Fluss transportieren. Bei gutem Wetter wird das Dach heruntergefahren, und die Passagiere können den Fahrtwind spüren. Ein Hauch von Freiheit auf dem Neckar.
Doch was tun mit einem Schiff? Diese Frage haben sich Studierende der DHBW Heilbronn, ein zentrales Mitglied der Wissensstadt, unter Leitung von Yvonne Zajontz gestellt. Ihre Antworten, die sie der Heilbronn Marketing GmbH (HMG) präsentierten, könnten das Stadtleben revolutionieren.
„Wunderbare Basis für den Start“, nannte HMG-Chef Steffen Schoch die Vorschläge gegenüber der Heilbronner Stimme. Die Studierenden denken in Zielgruppen: Für die Best Ager ab 60 Jahren soll es gemütliche Fahrten mit Kaffee und Kuchen geben, für Familien eine zweistündige Tour mit kindgerechtem Audioguide.
Das Spannendste aber sind die Ideen für die eigene Generation: Studentenpartys auf dem Wasser, mit Lasershow während der Schleusendurchfahrt und einer Tanzfläche an Deck. Die MS Käthchen als schwimmender Club – ein kühner Gedanke für eine Stadt, deren studentisches Nachtleben bisher eher überschaubar war.
Doch das Wasser ist nur die eine Ebene des neuen urbanen Denkens. Die andere liegt über den Köpfen der Stadtbewohner. „Rooftop-Events“ heißt das Zauberwort, mit dem eine zweite Gruppe von DHBW-Studierenden die Innenstadt beleben will. Ihr Credo gegenüber der Heilbronner Stimme: „Wir möchten, dass Heilbronn auch als kreative Kulturhochburg bekannt wird.“
Die Studierenden haben bereits die Locations ausgekundschaftet: die Dachterrasse der Jugendherberge im Neckarbogen, das Parkhotel, das noch stehende Soleo (bevor es dem Ausbau des Bildungscampus weicht), der Neckarturm und das K3. Von Brunches über After-Work-Veranstaltungen bis hin zu Weinverkostungen und sogar Après-Ski-Partys im Winter – die Ideen der Nachwuchsplaner kennen keine Grenzen.
Es ist ein neues Denken für eine Stadt, die sich selbst gerade neu erfindet. Die Wissensstadt Heilbronn, die mit Institutionen wie der TUM, der Hochschule Heilbronn, dem Fraunhofer IAO und dem entstehenden Ipai ein akademisches Kraftzentrum aufbaut, braucht auch ein passendes kulturelles Umfeld.
„Die Welt verändert sich, und wir in Heilbronn müssen mitgehen und das aufgreifen“, sagt Schoch gegenüber der Heilbronner Stimme. Wenn Cocktails und Partys die Menschen in die Stadt locken, sei ihm das recht. Die Projekte der DHBW Heilbronn lobt er als „liebevollen Umgang mit der Innenstadt.“
Steffen Schoch steht auf einem symbolischen Dach, wenn er erklärt: „Mir tut es jedes Mal weh, wenn kritisch über Heilbronn gesprochen wird.“ Dabei ist die Herausforderung, mit der die Stadt kämpft, ein bundesweites Phänomen: Wie belebt man Innenstädte, wenn der Handel allein nicht mehr zieht?
Die Antwort könnte in Rotterdam liegen, wo Rooftop-Events längst fester Bestandteil des Stadtlebens sind. Schoch war dort im vergangenen Jahr und ist überzeugt: Was in den Niederlanden funktioniert, könnte auch am Neckar eine „Sogwirkung“ entfalten.
Das wäre eine passende Ergänzung zur Wissensstadt: Tagsüber forschen an der TUM, dem Ipai oder im Ferdinand-Steinbeis-Institut junge Menschen an der Zukunft – abends feiern sie auf Dächern oder an Bord der MS Käthchen. Die Stadt, die lange für bodenständige Tugenden bekannt war, entdeckt ihre dritte Dimension: nach oben und aufs Wasser.