„Hier geschieht Großes“ – Wie die TUM Heilbronn zur Universitätsstadt machte

Von Robert Mucha, Foto: Robert Mucha/Midjourney

„Schulen sind oft keine Lernorte“, sagt der weltweit bekannte Bildungsforscher John Hattie – und liefert den Schulleitern Baden-Württembergs klare Handlungsempfehlungen. Beim ersten Schulleitungssymposium Baden-Württemberg in Heilbronn fordert er mehr Mut, eine neue Fehlerkultur und den Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Unterricht. Warum Heilbronn dabei eine besondere Rolle spielen könnte – ein Blick auf die wichtigsten Aussagen des neuseeländischen Bildungsexperten.

Warmherziger Applaus für Hattie – Der Stargast spricht Klartext
Er ist der Mann, den viele Schulleiter weltweit zitieren: John Hattie, Bildungsforscher aus Neuseeland, bekannt durch sein Buch „Visible Learning“. Als er bei der landesweiten Schulleitungskonferenz in der Aula des Bildungscampus Heilbronn die Bühne betritt, bekommt er lang anhaltenden Applaus. „Ihr Name ist ein Stern am Himmel der Bildungslandschaft“, begrüßt ihn Baden-Württembergs Kultusministerin Theresa Schopper.

Hattie lässt keine Zeit verstreichen, um seine Kernbotschaft zu platzieren: „Ich möchte, dass Schule Lernorte sind“, betont er. Doch er liefert gleich die ernüchternde Feststellung: „Das sind sie nämlich nicht.“ Vielmehr seien Schulen „teaching organisations“ – Orte, an denen Unterricht passiert, aber kein echtes Lernen. Ein harter Satz, der viele Schulleiter im Raum zum Nachdenken bringt.

Von Fehlern lernen – aber richtig
Hattie hat eine klare Vorstellung davon, wie Schulen sich verändern müssen. Er fordert eine neue Fehlerkultur in den Klassenzimmern. „In so vielen Klassen sind Fehler nicht willkommen“, sagte Hattie der Heilbronner Stimme. Das sei fatal, denn Kinder müssten lernen, Fehler als Chance zu sehen – und Lehrkräfte müssten das vorleben. Er nennt ein Beispiel: Kinder würden oft schon im Alter von sieben oder acht Jahren lernen, dass man so tun muss, als ob man etwas wisse, wenn man es eigentlich nicht wisse. „Und das ist kein gesundes Klassenzimmer“, warnt Hattie.

Was also tun? Laut Hattie müssten Lehrer dafür sorgen, dass Schüler Fragen stellen. Doch hier kommt eine erschreckende Erkenntnis: Lehrkräfte stellen täglich 200 bis 300 Fragen – aber die meisten davon sind mit weniger als drei Wörtern zu beantworten. Schüler hingegen stellen nur zwei Fragen am Tag, wenn sie etwas nicht verstehen. Das müsse sich ändern. „Wir lehren nicht, Fragen zu stellen. Aber das sollten wir.“

Der „Heilbronner Weg“ – Wie die Stadt zur Bildungs-Vorreiterin werden kann
Nicht nur die Inhalte von Hatties Vortrag sorgen für Aufsehen, sondern auch seine Aussagen zur Bedeutung von Heilbronn. Auf der Bühne spricht Hattie eine große Vision aus: „Heilbronn can lead the world“ – Heilbronn könne die Welt anführen, sagte er der Heilbronner Stimme. Diese Aussage ist nicht zufällig.

Mit der AIM (Akademie für innovative Bildung und Management), dem Bildungscampus Heilbronn und dem Innovationspark Künstliche Intelligenz (Ipai) entwickelt sich die Stadt zu einem wichtigen Hotspot für Bildung und Digitalisierung. Die Region bringt alle Voraussetzungen mit, um eine Vorreiterrolle einzunehmen – vor allem durch die enge Verbindung von Wissenschaft, Bildung und Wirtschaft.

„Architekten der Lernumgebung“ – Die neue Rolle der Schulleitungen
Doch wie sollen die Schulleiter auf die Herausforderungen der Zukunft reagieren? Kultusministerin Theresa Schopperhat dazu eine klare Meinung: „Sie sind die Architekten der Lernumgebung“, sagte sie den Teilnehmern des Symposiums. Die Rolle der Schulleitungen werde oft unterschätzt, da sie nicht nur Führungsverantwortung gegenüber Lehrkräften, sondern auch gegenüber dem gesamten Schul-Team, Hausmeistern, Verwaltung und Krisenmanagementübernehmen müssten.

John Hattie sieht das ähnlich: „Es ist sehr schwer, eine großartige Schule ohne einen großartigen Schulleiter zu finden“, sagte er im Interview mit der Heilbronner Stimme. Die Schulleitung sei verantwortlich für das Klima und die Kultur in jeder Klasse – und sie müsse eine Atmosphäre schaffen, in der Vertrauen und Fehlerfreundlichkeit herrschen.

KI im Klassenzimmer – Die Technik ist da, aber die Schulen zögern
Eine weitere große Herausforderung sieht Hattie im Umgang mit Künstlicher Intelligenz (KI) im Unterricht. Während viele Lehrkräfte noch skeptisch sind, erkennt Hattie das Potenzial. „KI kann dramatische Veränderungen mit sich bringen“, sagte er der Heilbronner Stimme. Sie könne nicht nur Unterrichtspläne effizienter erstellen, sondern auch dafür sorgen, dass Schülerinnen und Schüler in ihrem individuellen Lerntempo arbeiten.

Hattie warnt aber auch: „Unterschätzen Sie nicht die Macht der Schulen, die Innovation durch KI aufzuhalten“. Viele Schulen seien darauf ausgerichtet, Altbewährtes zu schützen, statt neue Wege zu gehen. Die Konsequenz: Wertvolle Chancen bleiben ungenutzt.

Was muss sich ändern? – Mehr Mut, mehr Vertrauen, mehr Vielfalt
Wie sieht die Zukunft der Schulen aus? John Hattie hat dazu eine klare Vision. Die Schulen in Deutschland müssen sich endlich von starren Strukturen verabschieden. Vor allem das mehrgliedrige Schulsystem kritisiert er scharf: „Die Verschwendung von Talenten durch das System der Abgrenzung ist groß“, sagte er der Heilbronner Stimme. Hattie verweist darauf, dass die PISA-Ergebnisse Deutschlands stagnieren, weil das Land immer wieder alte Modelle neu erfinde, anstatt mutige Reformen anzugehen.

Was Hattie vorschlägt, ist radikal: Abschlussprüfungen wie das Abitur sollten Gruppenarbeiten enthalten, so seine Forderung. Auch die Frage der Sprachförderung sieht er kritisch: Kinder mit Migrationshintergrund sollten nicht nur schneller auf Deutsch unterrichtet werden, sondern auch ihre Mehrsprachigkeit als Stärke nutzen.

Fazit – Ein Auftrag an alle
Wenn man die Aussagen von John Hattie zusammenfasst, wird klar: Die Zeit des Verharrens ist vorbei. Lehrer müssen neue Fragen stellen, Schüler müssen Fehler als Chancen sehen, Schulleiter müssen neue Kulturen etablieren – und Heilbronn hat das Potenzial, zum Vorbild zu werden. „Heilbronn can lead the world“, sagte Hattie – und diese Worte hallen nach.

Das Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) und die AIM haben mit dem Schulleitungssymposium Baden-Württemberg einen neuen Fixpunkt in der Bildungslandschaft geschaffen. Es könnte der Beginn einer Tradition sein, die weit über die Region hinausstrahlt – und an deren Ende steht vielleicht das, was John Hattie gefordert hat: Eine Schule, die nicht nur Lehr-, sondern echte Lernorte schafft.

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