Von Robert Mucha, Foto: Ideogram/Robert Mucha
Die digitale Welt kennt keine Wegzeiten, keine Kaffeeküchen, keine zufälligen Flurgespräche. Nach Jahren der Bildschirmarbeit will die Schwarz-Gruppe nun mehr persönliche Präsenz. Ein Balanceakt zwischen digitaler Freiheit und analoger Kreativität – und ein Thema, das am Fraunhofer IAO und anderen Institutionen der Wissensstadt intensiv beforscht wird.
Es gibt diesen Moment im Zoom-Call, wenn alle Mikrofone stumm geschaltet sind, die Kamera eingefroren ist und man sich fragt, ob die Kollegen überhaupt noch da sind. Dann erscheinen plötzlich wieder Bewegung, ein Nicken, ein Lächeln – die digitale Verbindung steht noch. Aber etwas fehlt.
Dieses „Etwas“ treibt jetzt die Schwarz-Gruppe um. Der Konzern, der mit seinen Unternehmen Lidl und Kaufland zu den größten Arbeitgebern der Region gehört und mit zahlreichen Institutionen der Wissensstadt Heilbronn eng verbunden ist, justiert seine Homeoffice-Regeln nach. Laut einer unternehmensinternen Mitteilung sollen die Mitarbeiter von Schwarz Corporate Solutions, Schwarz Corporate Affairs und Sportmarketing künftig wieder an drei Tagen in der Woche im Büro arbeiten, verteilt als Durchschnitt über den Monat.
Die bisherige Regelung, die bis zu fünf Tage mobiles Arbeiten ermöglichte, wird damit deutlich eingeschränkt. Ein Schritt, der auch für die zahllosen Start-ups, die sich am Bildungscampus rund um die Campus Founders, das Ferdinand-Steinbeis-Institut und den KI-Campus entwickeln, ein Vorbild sein könnte.
„Oft nicht mit eindeutigen und belastbaren Fakten unterlegt, sondern eher eine Bauchentscheidung“, diagnostiziert Josephine Hofmann gegenüber der Heilbronner Stimme. Die Wissenschaftlerin leitet das Forschungsteam „Zusammenarbeit und Führung“ am Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart, einer Schwesterorganisation des Fraunhofer IAO, das auf dem Heilbronner Bildungscampus mit seinem Forschungs- und Innovationszentrum Kognitive Dienstleistungssysteme (KODIS) vertreten ist.
Die Frage, ob im Büro oder zu Hause produktiver gearbeitet wird, beschäftigt nicht nur die Führungsetagen der Unternehmen, sondern auch die Wissenschaft in der Wissensstadt Heilbronn. Die Fraunhofer-Forscherin gibt zu bedenken: „Wenn man die Produktivität der Mitarbeiter misst, sind die Ergebnisse überwiegend gut. Aus dieser Perspektive gibt es keinen Grund, mobiles Arbeiten massiv zu reduzieren.“
Die Frage nach der perfekten Balance zwischen Homeoffice und Büropräsenz gleicht einem Forschungsprojekt, wie es auch an der Technischen Universität München (TUM) am Campus Heilbronn durchgeführt werden könnte. Philipp Grunau vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) erläutert der Heilbronner Stimme: „Die Mehrheit findet das Homeoffice gut und möchte das in gewissem Maße haben. Beschäftigte sind auch generell eher zufriedener, wenn sie im Homeoffice arbeiten können.“
Wer am Bildungscampus zwischen TUM, DHBW und Hochschule Heilbronn entlangspaziert, kann die Zukunft der Arbeit bereits erahnen. In den lichtdurchfluteten Gebäuden arbeiten Studierende, Dozierende und Forschende in flexiblen Arrangements – mal im Homeoffice, mal in Coworking-Bereichen, mal in klassischen Büros.
Es ist ein Balanceakt, der die Wissenschaft beschäftigt: Wieviel Präsenz braucht Innovation? In der experimenta, dem Science Center der Wissensstadt, könnten solche Fragen Teil einer interaktiven Ausstellung sein. Wie entstehen Ideen? Brauchen sie den physischen Raum oder gedeihen sie auch in Chatfenstern und Videokonferenzen?
„Es ist schwieriger, Kontakte mit Kollegen in anderen Abteilungen zu knüpfen. Es ist schwieriger, Menschen einzuarbeiten. Zufällige Begegnungen in der Kaffeeküche, das gemeinsame Mittagessen fehlen. Auch kreative Meetings sind aufwendiger umzusetzen“, erklärt Hofmann der Heilbronner Stimme die Kehrseite des Homeoffice.
Die Schwarz-Gruppe, die mit dem appliedAI Institute for Europe und ihrer tiefen Verbindung zum Innovationspark Artificial Intelligence (Ipai) als Pionier digitaler Transformation gilt, steht nun vor der Aufgabe, das Beste aus beiden Welten zu vereinen.
„Die Studien zeigen, dass ein Mittelweg am besten funktioniert“, fasst Grunau zusammen. Es brauche eine gewisse Zahl von Homeoffice-Tagen, aber auch Präsenztage, an denen idealerweise viele Kollegen da sind.
So wird die Debatte um Homeoffice und Büropräsenz selbst zum Forschungsgegenstand in der Wissensstadt Heilbronn. Während am Bildungscampus die Studierenden der DHBW, der TUM und der Hochschule Heilbronn hybrid lernen, experimentieren die Unternehmen mit verschiedenen Modellen des Arbeitens.
Die Schwarz-Gruppe geht dabei einen Weg, der weg von der völligen Freiheit und hin zu mehr strukturierter Präsenz führt. Ob dieser Weg der richtige ist? Die Wissenschaft der Wissensstadt wird es erforschen – teils im Büro, teils im Homeoffice.