Von Robert Mucha, Foto: HHN
Zwischen Smartphone und Steckplatine entsteht an der Heilbronner Hochschule ein neues Lernuniversum. Wie ein „Lab-in-a-Box“ die Elektrotechnik aus verstaubten Hörsälen in handliche Koffer verwandelt – und nebenbei das Lernen revolutioniert.
Professor Tim Fischer steht zwischen zwei Welten. In der einen gibt es Hörsäle mit Wandtafeln und Overheadprojektoren, in denen Elektrotechnik noch immer so gelehrt wird wie vor dreißig Jahren. In der anderen Welt stecken Studierende kleine Bauteile auf intelligente Platinen, während ihr Smartphone ihnen sofort mitteilt, ob die Schaltung funktioniert oder wo der Fehler liegt. Fischer hat sich für die zweite Welt entschieden.
„MEXLEfirst“ heißt sein Projekt an der Hochschule Heilbronn – ein Akronym, das für „Multimodale Experimentier- und Lernumgebung für das erste Studienjahr“ steht. Es klingt nach Hochschul-Bürokratie, doch dahinter verbirgt sich etwas Faszinierendes: ein mobiles Elektro-Labor, das in einen handtaschengroßen Koffer passt und die Lücke zwischen theoretischem Wissen und praktischer Anwendung schließen soll.
Die Idee ist so einfach wie revolutionär: Studierende des Kurses „Einführung in die Elektrotechnik“ lösen Schaltkreis-Aufgaben, indem sie elektrische Komponenten wie Widerstände und Operationsverstärker auf einer intelligenten Grundplatine platzieren. Eine Smartphone-App erkennt automatisch das gesteckte Schaltungslayout, gibt Tipps und dokumentiert den Lernfortschritt. Direktes Feedback statt stundenlangem Grübeln über falsche Verbindungen.
„Wir haben bewusst klein begonnen“, erklärt Fischer, der als Professor für Elektronische Systeme am TechCampus der Hochschule Heilbronn das Projekt leitet. Der erste Feldversuch fand kürzlich in seinem Kurs „Elektrotechnik Labor“ statt – ein Test, der sich auf die Systeminfrastruktur konzentrierte: das Handling der modularen Steckbausteine und die stabile Datenübertragung zum zentralen Webservice.
Joshua Weinmann und Erik Stahl, zwei Studierende, die am Test teilgenommen haben, zeigen sich begeistert. „Der Feldversuch macht großen Spaß. Wir sehen einen ganz klaren Mehrwert für den Unterricht“, sagt Weinmann. Sein Kommilitone Stahl hebt besonders die einfache Anwendung hervor: „MEXLEfirst ist wirklich sehr nutzerfreundlich. Die Platine bietet viel Platz und das macht das Arbeiten mit ihr sehr übersichtlich.“
Es ist ein bemerkenswerter Wandel in der Hochschullehre. Während traditionelle Elektrotechnik-Laborübungen den Fokus auf manuelles Aufbauen und Messen legen, fügt „MEXLEfirst“ eine digitale Ebene hinzu, die das Lernen individualisiert und beschleunigt. Die Studierenden arbeiten nicht mehr nur mit ihren Händen, sondern auch mit einer intelligenten Software, die sie durch komplexe Schaltungen führt.
Fischer sieht in seinem Projekt mehr als nur ein verbessertes Lehrwerkzeug. „MEXLEfirst“ soll ab 2026 nicht nur in der Hochschullehre eingesetzt werden, sondern auch in Schullaboren, Makerspaces und Science-Centern. Das „Lab-in-a-Box“-Konzept könnte für Schulen und Unternehmen in ländlichen Regionen zugänglich gemacht werden, aber auch für Messen oder das Homeschooling – besonders relevant für den Fall erneuter pandemiebedingter Präsenzeinschränkungen.
„Wir sehen auch großes Potenzial für den Einsatz bei Ausbildungsberufen und beruflicher Weiterbildung“, erklärt Fischer. Bereits laufen Kooperationsgespräche mit Partnern wie der Wilhelm-Maybach-Schule und der Läpple Ausbildung GmbH, um das System in Ausbildungseinrichtungen der Elektro- und Automatisierungsbranche zu etablieren.
Die Stiftung Innovation in der Hochschullehre war von dem Konzept überzeugt und hat dem Projekt einen Zuschlag aus ihrer „Freiraum“-Ausschreibung erteilt. Für zwei Jahre können Fischer, Co-Projektleiter Professor Gruhler und ihre Kollegen nun mit Personal- und Sachmitteln die Idee weiterentwickeln und die nötige intelligente Hardware entwickeln sowie die Software programmieren.
Es ist ein typisches Beispiel für den Wandel, den Heilbronn in den letzten Jahren durchgemacht hat. Die Stadt, die sich vom Industriestandort zur Wissensstadt entwickelt hat, investiert nicht nur in große Forschungsprojekte und KI-Campus, sondern auch in scheinbar kleine Innovationen, die das Lernen von Grund auf verändern können.
Das „Lab-in-a-Box“-Konzept zeigt, wie sich Bildung in einer digitalisierten Welt neu erfinden lässt. Statt auf große Laborräume und teure Ausrüstung angewiesen zu sein, können Lehrende und Lernende überall experimentieren – zu Hause, in der Schule, im Unternehmen oder sogar im Zug. Bildung wird mobil, individuell und interaktiv.
Fischer und sein Team haben den Test als Erfolg gewertet: „Der Test hat gezeigt, dass unsere mechanische Steckarchitektur und das Netzwerk-Backend tragfähig sind – ein Grundstein für die Entwicklung des Systems in den nächsten 24 Monaten.“ Es ist der Beginn einer Reise, die zeigen wird, ob sich die Art, wie wir Elektrotechnik lehren und lernen, grundlegend verändern lässt.
Wenn alles nach Plan läuft, werden in zwei Jahren Studierende in ganz Deutschland mit ihren Smartphones über Schaltplatinen gebeugt stehen und in Echtzeit lernen, wie Elektrotechnik funktioniert. Dann wird die Zukunft des Lernens tatsächlich in einem handlichen Koffer Platz finden.