Digitale Verwaltung? Heilbronn machts vor!

Von 42 Heilbronn, Foto: Privat

Heilbronn entwickelt sich zum KI Mekka. Das strahlt aus. Sogar auf die Stadtverwaltung: Vor fünf Jahren hat sie als eine der ersten Kommunen in Baden-Württemberg eine umfangreiche Digitalstrategie mit Blick auf 2030 verabschiedet. Ein ganzer Verwaltungsbereich treibt seitdem das Thema voran, Automatisierung und KI spielen eine Schlüsselrolle. Ein Gespräch mit Thomas Laue, Digitalisierungsbeauftragter und Open-Data-Koordinator der Stadt, über die Hürden der deutschen Verwaltungsdigitalisierung und den Mut zum Kulturwandel.

Deutschlands Verwaltung hinkt in Sachen digitale Verwaltung hinterher – warum? 

Es stimmt, Länder wie Estland, Österreich und Dänemark sind uns bestimmt um ein Jahrzehnt voraus. Das zeigt, dass wir Tempo aufnehmen müssen. Das wir von anderen lernen müssen. Gleichzeitig ist es aber auch so, dass die deutsche Verwaltung in einer komplexen föderalen Struktur agiert. Da gibt es kein einfaches Top-down, wie man das aus der Wirtschaft kennt. Im Gegenteil: Bundesweit wollen unheimlich viele Akteure mitreden, ihre Ideen einbringen – und bremsen in letzter Konsequenz oft Fortschritte aus. Ob gewollt oder ungewollt. Wir Kommunen stehen da in der Nahrungskette recht weit unten. 

Können Sie das weiter ausführen?

Wir treiben in Heilbronn vielfach neue Softwarelösungen für digitale Dienstleistungen voran. Dabei kann es immer sein, dass Standards auf Landes- oder Bundesebene erst später angepasst werden und unsere Schnittstellen plötzlich nicht mehr funktionieren. Wir brauchen deshalb dringend mehr Planungssicherheit und bundesweit einheitliche Standards – sonst ist die beste Programmierarbeit umsonst. Aber ich will nicht nur klagen. Für Heilbronn kann ich sagen, dass wir unter den gegebenen Umständen gut vorankommen. Zumal wir aus vergangenen Pannen auch selbst gelernt haben und viel schneller auf Veränderungen reagieren. 

Was läuft in Heilbronn anders? 

In der Stadt herrscht eine enorme Offenheit für digitalen Wandel und Innovation. Angefangen beim Oberbürgermeister Harry Mergel bis runter in die Behörden. Ebenso in Wirtschaft und Stadtgemeinschaft. Dass letztes Jahr über 7.000 Menschen das KI-Festival besucht haben, ist für mich das passende Bild. Wo gibt es das sonst in Deutschland? Dann gibt es auch viele Hochschulen und eine lebendige Start-up-Szene. Davon profitieren wir erheblich.

Wie sieht der Austausch konkret aus?

Wir haben beispielsweise einen Arbeitsplatz im Innovationspark Künstliche Intelligenz (Ipai) und dadurch einen direkten Draht zu den dortigen Start-ups und Unternehmen. Ihr Wissen ist für uns unheimlich wertvoll – aber auch ihre Arbeitsweise. Start-ups haben ein enormes Tempo und sprühen gerade so vor Innovationskraft und neuen Ideen. Wir als Verwaltung sind da viel langsamer. Was auch gut ist, schließlich verantworten wir die Daseinsvorsorge einer ganzen Stadt und müssen sichere Lösungen bieten. Bringt man aber beide Arbeitsweisen zusammen, können großartige Projekte entstehen!

Hat es schon gemeinsame Projekte gegeben?

Sogar mehrere! Zum Beispiel haben wir 2021 begonnen, mit dem Partner thingsThinking einen voll digitalen Posteingang zu entwickeln. Das System scannt eingehende Briefe ein, erkennt aus dem Kontext des jeweiligen Schreibens die zuständige Verwaltungsbehörde – auch, wenn diese nicht ausdrücklich erwähnt wird – und sendet sie digital weiter. Dazu müssen Sie wissen, dass bei uns vier bis fünf PKW-Ladungen Post pro Tag landen. Die müssen an über hundert unterschiedliche Stellen wie Verwaltungsgebäude, Schulen und Kindergarten verteilt werden. Pro Woche kommen da mehrere hundert Kilometer Fahrtweg zusammen. Das Potenzial für schnellere, ökologische und im Zweifel zuverlässigere Zustellungen ist deshalb enorm. Mit dem Projekt sind wir bundesweit Vorreiter. Vielen Kommunen ist dieses Thema zu heiß. Aber dank des Supports aus der Community haben wir uns getraut, das Projekt anzugehen und sogar KI integriert – und das binnen kürzester Zeit.

Wie kam es dazu?

Für viele klingt das vielleicht verrückt: Auf dem ersten KI-Festival, das damals von thingsThinking co-organisiert wurde, haben wir in drei Tagen einen ersten KI-basierten Prototypen für die Software gebaut. Natürlich konnte das nicht eins zu eins umgesetzt werden und musste bis jetzt verwaltungsinterne Prozesse durchlaufen. Dieser erste Anstoß hat aber gezeigt, dass es überhaupt möglich ist. Und inzwischen steht die Software kurz vor der Anwendung. 

Und die 42 Heilbronn?

Mit der 42 Heilbronn sind wir seit der Eröffnung im engen Austausch und inzwischen hat sich die Schule zu einem wirklich wertvollen Sparrings-Partner entwickelt: Sie geben uns oft Feedback auf aktuelle Projekte und wir profitieren sehr von ihrem Ideenreichtum. Dank der 42 haben wir auch an unserem ersten Hackathon – damals zum Thema Open Data – teilgenommen. Die 42-Studierenden haben dabei direkt Leerstellen aufgedeckt und Probleme bei unserer Datenqualität erkannt. Noch während des Hackathons haben sie einen Anforderungskatalog entwickelt, auf den wir bis heute regelmäßig zurückgreifen. Dieses fachliche Know-how der 42 auch bei uns im Haus zu haben, wäre genial. Im Moment versuchen wir daher, einen Praktikanten für die Heilbronner Verwaltung zu gewinnen. 

Was macht die Studierenden der 42 für Euch aus?

Man merkt den Studierenden an, dass sie gelernt haben, die richtigen Fragen zu stellen: Sie wissen genau, was sie für ihre Projekte brauchen und können das auch benennen. Dabei versuchen sie erst mal zu nachzuvollziehen, wie wir als Verwaltung ticken und wie sie mit uns zusammenarbeiten können. Das macht es für uns viel leichter, die Ideen auch in die Umsetzung zu bringen – und führt zu einer höheren Akzeptanz innerhalb der Verwaltung. Denn klar ist: Wenn wir 42-Studierende bei uns andocken wollen, ist auf unserer Seite ein Kulturwandel hin zu agileren Arbeitsweisen gefragt. Bis dahin ist es zwar ein langer Weg. Aber dieses Experiment sind wir bereit zu wagen!