Von Redaktion Foto: TUM Campus Heilbronn
Über die Motivation, sich auf Weiterbildung einzulassen, und wie sich das Upskilling-System verändern muss. Viele Arbeitnehmer unterschätzen das Risiko, dass Automatisierung ihre Jobs beeinflusst. In diesem Interview spricht Philipp Lergetporer, Professor für Wirtschaftswissenschaften am TUM Campus Heilbronn, über die Motivation, sich auf Weiterbildung einzulassen und wie sich das Upskilling-System verändern muss.
Prof. Lergetporer, welche Fähigkeiten hat die digitale Transformation überflüssig gemacht?
Prof. Lergetporer: Einige Aspekte der digitalen Transformation erinnern an radikale Veränderungen in der Vergangenheit. In den 1990er Jahren wurden Fließbandarbeiter nicht mehr benötigt, weil Roboter plötzlich Schrauben einsetzen konnten. Die heutigen KI-Anwendungen ermöglichen es uns, auch andere Aufgaben zu automatisieren. Die Transformation verdrängt Funktionen, die von neuen Maschinen und Technologien übernommen werden können, und gleichzeitig führt sie zu einer erhöhten Nachfrage nach neuen Fähigkeiten, die diese neuen Technologien ergänzen.
Ersetzt generative KI nicht auch viele kreative Arbeiten?
Prof. Lergetporer: Auf jeden Fall. Gleichzeitig entstehen neue Aufgaben. Texter werden vermutlich keine vollständigen Texte mehr schreiben, aber sie sollten in der Lage sein, Eingaben (Prompts) zu formulieren, die das Beste aus KI-Anwendungen herausholen. Wir erwarten eine Verschiebung hin zu einer Zunahme von Überwachungstätigkeiten.
Welche Berufe sind besonders betroffen und welche Fähigkeiten werden wichtig werden?
Prof. Lergetporer: In der Vergangenheit waren hauptsächlich Menschen mit begrenzten Qualifikationen betroffen. Die digitale Transformation wird das wahrscheinlich verstärken. Obwohl ich keine spezifischen Berufe nennen kann, wissen wir, dass viele Fähigkeiten, die die neuen Technologien ergänzen, jetzt in größerem Maße geschätzt werden, einschließlich Prompt Engineering, spezifischer IT-Kompetenzen und Bereichen wie sozialen Interaktionen, für die Maschinen nicht geeignet sind. Die größte Herausforderung wird es sein, das eigene Fähigkeitsprofil an die Anforderungen des Arbeitsmarktes anzupassen.
Die größte Herausforderung wird es sein, das eigene Fähigkeitsprofil an die Anforderungen des Arbeitsmarktes anzupassen.Die Ergebnisse Ihrer Studie deuten darauf hin, dass insbesondere Menschen mit begrenzten Qualifikationen das Risiko unterschätzen, dass Automatisierung ihre Jobs überflüssig macht.
Prof. Lergetporer: Wir haben die Hypothese, dass diese Arbeitnehmer einfach falsch über das Risiko informiert sind, das mit der Automatisierung einhergeht. Für unsere Studie haben wir 3.000 Arbeitnehmer zu den Jobs befragt, die sie derzeit ausüben, und zum Prozentsatz ihrer Hauptaufgaben, von denen sie glauben, dass sie automatisiert werden könnten. Vor allem Befragte, die einem hohen Automatisierungsrisiko ausgesetzt sind, unterschätzten den Prozentsatz erheblich. Wir informierten daraufhin eine zufällig ausgewählte Gruppe dieser Befragten über die Wahrscheinlichkeit der Automatisierung in ihren individuellen Fällen. Diese Information allein erhöhte ihr Problembewusstsein signifikant, was dazu führte, dass sie eine höhere Wahrscheinlichkeit angaben, sich in Zukunft in einem Upskilling- oder Umschulungsprogramm einzuschreiben.
Wer könnte diese Art von Informationen vermitteln?
Prof. Lergetporer: Die Hauptfrage ist: Wie können wir Upskilling effektiv fördern? Es wird eine gemeinschaftliche Anstrengung sein, die viele Akteure einbezieht. Auf makroökonomischer Ebene ist die Regierung ein entscheidender Gestalter. Oft wird behauptet, dass Deutschland kein konsistentes Upskilling-System hat. Laut der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina könnte die Einführung eines dualen Systems nach dem Vorbild des deutschen Bildungssystems das Problem lösen. Am anderen Ende des Spektrums haben wir die große Anzahl von Arbeitnehmern, die nicht bereit oder in der Lage sind, sich weiterzubilden. Kognitionspsychologen haben herausgefunden, dass Menschen in jedem Alter lernen können. Diese Barrieren müssen auf individueller Ebene angegangen werden. Zwischen diesen beiden Enden des Spektrums gibt es weitere relevante Akteure, einschließlich Unternehmen und Bildungseinrichtungen. Während Unternehmen Upskilling als Schlüsselstrategie zur Bekämpfung von Fachkräftemangel betrachten, sind sie oft zögerlich, Mitarbeiter in Upskilling-Programme zu schicken, wenn sie dringend im Job benötigt werden.
Wird die Automatisierung an Geschwindigkeit zunehmen?
Prof. Lergetporer: Das Automatisierungspotenzial wird weiter zunehmen. Die Daten für unsere Studie stammen aus einer Zeit, bevor KI-Tools wie ChatGPT auf den Markt kamen. Seitdem haben wir gesehen, dass das Schreiben von Texten, das Entwerfen von Grafiken und andere Aktivitäten mit wenigen Eingaben erledigt werden können. Die Art von Aufgaben, die in Zukunft ebenfalls automatisiert werden können, wird uns überraschen.
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