Text: Kathrin Stärk, Fotos: Andreas Dauerer, HBO, Martin Kraft, Stephan Röhl
»Die Frauen hier sind noch nicht mächtig genug«
Sibel Kekilli: Eine preisgekrönte Frauenheldin mit Leidenschaft, Rückgrat und einem Bundesverdienstkreuz
Sie gehört zur ersten Garde deutscher Schauspieler*innen, vielleicht auch weil sie ihre Popularität von Anfang an nutze, auch unbequeme Wahrheiten auszusprechen: Sibel Kekilli wurde 1980 in Heilbronn geboren und 2004 mit ihrem Debüt in Fatih Akins »Gegen die Wand« über Nacht berühmt. Sie musste miese Schmutzkampagnen der Bild-Zeitung ertragen, ließ sich jedoch nicht beirren, sondern lieferte 2010 in Feo Aladags Drama »Die Fremde« erneut eine eindrückliche Darstellung als junge deutsch-türkische Mutter im Kampf um ihre Selbstbestimmung und die ihres Kindes. Als Kieler Tatort-Kommissarin Sarah Brandt (von 2010 bis 2017) eroberte sie schließlich die Herzen eines breiten TV-Publikums und erspielte sich als Kämpferin Shae in »Game of Thrones« eine weltweite Fangemeinde.
Bis zu ihrem 20. Lebensjahr verlief Kekillis Leben relativ normal. Eine Weltkarriere schien nicht in Sicht, als sie die Fritz-Ulrich-Schule in Heilbronn-Böckingen mit der Mittleren Reife abschloss. Bis Februar 2000 absolvierte sie bei der Heilbronner Stadtverwaltung eine Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten. 2002 kündigte sie und zog nach Essen. Dort arbeitete sie als Kellnerin, Türsteherin, Putzkraft, Verkäuferin, Promoterin und als Model.
Sie nahm Schauspiel-Unterricht und absolvierte Stimm- und Sprachtraining an der Schauspielschule Bochum. Im August 2002 wurde sie entdeckt und ihre erste Filmrolle in Fatih Akıns Drama bescherte ihr gleich mehrere Filmpreise. Seither war Kekilli auch in einigen internationalen Spielfilmproduktionen zu sehen. Für ihre erste Hauptrolle in einem türkischen Spielfilm, »Eve Dönüş« (2006), wurde sie auf dem Golden Orange Film Festival in Antalya, als »Beste Darstellerin« ausgezeichnet.
Sie engagiert sich seit vielen Jahren für Terre des Femmes und papatya, eine anonyme Kriseneinrichtung für junge Mädchen(www.papatya.org). Denn, wie sie immer wieder betont: »Auch hier in Deutschland gibt es Ehrenmorde und Gewalt gegen Frauen.« Ihre Meinung sagt sie schonungslos und offen, was ihr viel Anerkennung eingebracht hat. Aber nicht nur: »Man muss vieles hinter sich lassen, vielleicht die Familie, die Kultur, das alte Leben sogar. Dazu kommt, wenn man sich auch noch traut, über solche Missstände in dieser Kultur zu sprechen, dann muss man vieles aushalten können: etwa Beschimpfungen, Drohungen bis hin zu sexuellen Belästigungen«, sagte sie in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung (https://www.sueddeutsche.de/medien/sibel-kekilli-im-interview-ueben-durchzuatmen-1.3741148).
Für ihr Engagement für Frauen- und Mädchenrechte erhielt sie 2017 das Bundesverdienstkreuz. Als der Brief kam, konnte sie es kaum glauben: »Ich habe an meinem Deutsch gezweifelt, ich dachte, man will mich reinlegen.« Das offizielle Foto zeigt sie mit dem damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck, Freudentränen glitzern in ihren Augen: »Ich bin immer noch wahnsinnig stolz darauf weil ich als Mensch, als Frau geehrt wurde.«
Kekilli kämpft nach wie vor – gegen Diskriminierung, Rassismus und dagegen, auf türkischstämmige Charaktere reduziert zu werden. Einige Regisseur*innen und Caster*innen trauten sich gar nicht mehr, ihr solche Rollen anzubieten. Dabei hat sie kein Problem damit, hin und wieder eine Deutsch-Türkin zu spielen, was sich auch in ihrer Filmografie zeigt. Ihr ist nur wichtig, mit ihren Rollen nicht ein Klischee zu bedienen und so unfreiwillig in einer Schublade zu landen: »Es war mir aber wichtig, klarzumachen: Hey, ich bin keine Türkin, die Rollen verkörpert, sondern eine Schauspielerin, die versucht, verschiedene Rollen glaubhaft darzustellen.«
Dass sie das kann, hat sie als Sarah Brandt in der urdeutschesten Serie überhaupt, im Tatort Kiel an der Seite von Axel Milberg bewiesen. Dennoch musste sie jahrelang erklären, warum sie keine türkische Ermittlerin spiele, das sei doch viel interessanter. »Ich empfinde das als Beleidigung für beide Seiten, für die deutsche Schauspielerin und für die Schauspielerin mit Migrationshintergrund.« In einem Gastbeitrag in der Zeit (https://www.zeit.de/2018/32/rassismus-mesut-oezil-erfahrungen-alltag) schrieb sie: »Ich bin für die Türken zu deutsch, für die Deutschen nicht deutsch genug.« Der alltägliche Rassismus mache ihr zu schaffen. Oft seien es nur Kleinigkeiten, doch die häufen sich – selbst bei Presseterminen, die immer wieder um das Thema türkische Kultur kreisen und weniger um ihre Arbeit.
Dabei könnte man mit ihr gut über Missstände in der Film- und TV-Branche sprechen. Oder warum sie Figuren mit Brüchen innerhalb des Charakters so faszinieren. Exemplarisch dafür ist ihre Sibel in »Gegen die Wand«, die aus dem ihr vorbestimmten Leben ausbricht, um ein neues, wildes, freies Leben zu beginnen. Es ist auch ein wenig ihre eigene Geschichte, allerdings ohne gewaltvolle Scheinehe.
Oder man spricht über ihre Rolle in der ZDF Neo-Miniserie »Bruder – Schwarze Macht« (2017), in der sie eine Hamburger Polizistin spielt, wieder eine Deutsch-Türkin namens Sibel. Eine Geschichte, die eine gesellschaftliche Nische untersucht, in der sich Millionen Migrant*innen bewegen: »Alles muss der vermeintlichen Ehre und Tradition untergeordnet werden.« Auch sie begibt sich durch immer wieder auf Identitätssuche im Spannungsfeld zwischen Weltoffenheit und Tradition.
Vielleicht ist es diese Dualität, die Sibel Kekilli als Schauspielerin ausmacht: Ihre zarte Präsenz, die manchmal etwas Zerbrechliches, sehr Verletzliches hat, steht im Kontrast zu der Stärke, Intensität und Leidenschaftlichkeit ihrer Rollen. In der Nordic-Noir-Serie »Bullets«, hinter der die Macher von »Die Brücke«, »The Killing« und der »Millennium«-Trilogie stehen, spielt Sibel Kekilli ein einsame Terroristin in Finnland über die sie im SPIEGEL-Interview (https://www.spiegel.de/panorama/leute/sibel-kekilli-ueber-alltagsrassismus-werde-staendig-gefragt-woher-ich-komme-a-1298602.html) sagt: »Es hätte mich als Schauspielerin nicht genügend herausgefordert, wenn sie nur eine schwarze Witwe, eine Terroristin aus Tschetschenien wäre, die rein aus Hass oder Wut agiert.«
Für Kekilli ist die Filmbranche ein Spiegel der Gesellschaft. Und der zeigt immer noch das erschreckende Bild einer weißen Mehrheitsgesellschaft, in der Frauen ab vierzig kaum vorkommen. Und in der Künstler*innen wegen ihres ausländischen Namens benachteiligt werden. Davon berichtet die 40-Jährige in der ZDFkultur-Webserie FILMFRAUEN. DIE INTERVIEWS (https://www.zdf.de/kultur/filmfrauen-die-interviews/sibel-kekilli-106.html), in der prominente Regisseurinnen, Schauspielerinnen und Drehbuchautorinnen über ihre Erfahrungen im Filmbusiness sprechen.
Kekilli ist erstaunlich offen, zeigt sich verletzlich: »Durch die Öffentlichkeit bin ich noch selbstkritischer geworden. Jedesmal denke ich: Das ist der letzte Film.« Unvergessen in diesem Zusammenhang auch ihr Auftritt beim Deutschen Filmpreis 2010. Als sie den Preis entgegennimmt, kommt keine vorbereitete Dankesrede, stattdessen bricht es aus ihr heraus: »Liebe Produzenten, liebe Regisseure, ich, weiblich, von Beruf Schauspielerin, Spielalter 23 bis 30, bin an guten Stoffen interessiert. Bitte, ich will arbeiten, ich will drehen!« Denn die unbequeme Wahrheit ist, dass auch eine scheinbar erfolgreiche Schauspielerin Existenzängste plagen, weil Nachfolgeengagements fehlen.
In dem ZDFkultur-Clip schwärmt Kekilli aber auch von ihren Erfahrungen in internationalen Produktionen und verrät, dass sie sich als Schauspielerin in Deutschland etwas mehr Verständnis wünscht: »Ich habe so oft gehört: ,Du bist emotional. Du bist zu sensibel.’ Hey, Moment, du möchtest, dass ich alles für diese Rolle und für diesen Regisseur gebe, und dann darf ich aber nicht sensibel sein? Nicht emotional sein? Wie soll denn das funktionieren?« So sehr sie ihren Beruf liebt, stehen ihrer Ansicht nach doch noch einige Veränderungen in der deutschen Filmwelt an. So sei beispielsweise die #MeToo-Debatte bisher nur an der Oberfläche behandelt worden: »Die Frauen hier sind noch nicht mächtig genug. Da fehlt noch die Solidarität in der Filmbranche.«
Was noch fehlt ist Diversität. »Wieviele Schauspielerinnen über 50 mit Migrationshintergrund fallen einem spontan ein?« Sie lässt sich Zeit. Die Antwort schmerzt: Keine. Doch wie soll Diversität entstehen, wenn die Geschichten dieser Frauen im Film nicht erzählt werden, der doch unsere Gesellschaft widerspiegeln soll. »Wie soll man sich beweisen, wenn man nicht mal die Chance bekommt?« Deshalb plädiert sie für eine Quote für Migrant*innen im Film – nicht nur als Türsteher*in oder Obstverkäufer*in, sondern in den Hauptrollen. »Nur so kommen wir weiter.« Sibel Kekilli könnte in mehr als zehn Jahren die erste sein, die uns als Beispiel für eine migrantische Schauspielerin über 50 einfällt. Übrigens, Sibel bedeutet »Regentropfen im freien Fall«.