Von St. Gallen nach Heilbronn: Wenn ein Uhrenmann seinen Takt findet

Von Robert Mucha, Foto: OMEGA

Eine akademische Karriere schien vorgezeichnet, doch dann nahm er sich „ein Jahr Auszeit“ – das bis heute andauert. Raynald Aeschlimann, CEO des Schweizer Uhrenherstellers Omega, berichtete bei der CEO Leadership Series am TUM Campus Heilbronn von seinem ungewöhnlichen Lebensweg. Vom Wirtschaftsstudenten zum Chef eines Traditionsunternehmens, das für die erste Uhr auf dem Mond und die Zeitmesser von James Bond bekannt ist. Eine Geschichte über Instinkt, Tradition und die Frage, wie man sein Vermächtnis findet.

Die akademische Welt konnte ihn nicht halten. Mit einem Wirtschaftsstudium der Eliteuniversität St. Gallen in der Tasche und einer Leidenschaft für Finanzthemen stand Raynald Aeschlimann Ende der 1990er Jahre vor einer Entscheidung. Banker werden wie die meisten seiner Kommilitonen? Oder doch den anfänglich geplanten Weg zum Wirtschaftsprofessor einschlagen?

Er entschied sich für keines von beidem, wie er nun den Studierenden des TUM Campus Heilbronn und Prof. Dr. Chengguang Li, Lehrstuhlinhaber für Strategisches Management, bei der CEO Leadership Series berichtete: „Ich war zu sehr in der akademischen Welt gefangen. Also habe ich mir ein Jahr Auszeit genommen. Ich fühlte einfach, dass ich es tun musste.“

Aus einem Jahr wurden 29. Heute steht der Schweizer an der Spitze eines der renommiertesten Uhrenhersteller der Welt. Ein Zufall? Nicht ganz.

Mit dem Instinkt gegen den Trend

Als Aeschlimann in seine berufliche Selbstfindungsphase eintrat, befand sich die traditionsreiche Schweizer Uhrenindustrie in einer existentiellen Krise. Die internationale Konkurrenz machte den Eidgenossen ihre globale Führungsposition zunehmend streitig. „Zwei Drittel der Beschäftigten in der Schweizer Uhrenindustrie verloren ihre Jobs“, erinnerte sich Aeschlimann auf dem Heilbronner Bildungscampus. „Niemand wollte in der Uhrenindustrie arbeiten. Es gab keine Stellen.“

Doch eine Möglichkeit tat sich auf, als er eine Stellenanzeige für die Finanzlogistik bei Omega entdeckte. Aeschlimann, der zuvor bei der Investmentberatung Complementa erste Berufserfahrung gesammelt hatte, bewarb sich – und begann einen bemerkenswerten Aufstieg. Über Positionen als Vize-Präsident und Verantwortlicher für den Internationalen Verkauf sowie als Brand Manager in Spanien führte sein Weg bis an die Unternehmensspitze, die er seit 2016 als CEO innehat.

Den Studierenden im Publikum gab er einen Rat mit auf den Weg, der seiner eigenen Lebensgeschichte entspringt: „Sucht euch euren Job gut aus und folgt dabei euren Instinkten. Jeder Mensch ist anders, daher gibt es keine schlechte Arbeit.“

Pionier auf dem chinesischen Markt

Als eine seiner besten Entscheidungen bezeichnete Aeschlimann den Schritt auf den asiatischen Markt. Er erinnerte sich an Boutique-Eröffnungen mit Topmodel Cindy Crawford in China und Indien. Mit dem frühen Engagement in China erwies sich Omega als Pionier – zu einer Zeit, als viele westliche Luxusmarken noch zögerten.

Heute sei die Globalisierung jedoch längst auch im Luxussegment angekommen: „Der Kunde ist heutzutage überall auf der Welt gleich – und das ist gut so“, stellte der CEO fest.

Zwischen Tradition und KI

In der anschließenden Fragerunde zeigte sich Aeschlimann als Manager mit klaren Werten, der Traditionen schätzt, aber Innovationen gegenüber aufgeschlossen ist. Influencer betrachtete er kritisch, Smart Watches bezeichnete er als „unpersönlich und wenig nachhaltig“ – eine interessante Position im digitalen Zeitalter.

Bei der Künstlichen Intelligenz sieht er hingegen große Chancen: „Wir sollten damit arbeiten, solange sie dazu beiträgt, dass wir die richtigen Fragen stellen. Es ist wirklich interessant, in welchen Bereichen wir sie einsetzen und wie wir sie mit unseren Werten in Einklang bringen können.“

Auf die Frage nach seinem persönlichen Vermächtnis antwortete der erfolgreiche Manager überraschend bescheiden: „Wenn ich eines Tages von dieser Welt verschwinde, wünsche ich mir, dass zumindest eine Handvoll Leute meinen Weg weiterbeschreitet. Ich hoffe, dass unsere Marke auch in 300 Jahren noch existieren wird.“

Eine Zeitperspektive, die für einen Uhrenmann vielleicht nicht überrascht – und die den Heilbronner Studierenden demonstrierte, dass langfristiges Denken auch im schnelllebigen 21. Jahrhundert seinen Platz hat. Ob seine eigene „Auszeit“ von der akademischen Welt eines Tages doch noch endet, ließ Aeschlimann offen. Nach 29 Jahren im Berufsleben scheint die Uhr für eine Rückkehr an die Universität allerdings nicht mehr zu ticken.

Melden Sie sich für unseren Newsletter an!