KI spricht Heilbronnerisch: Wie „Kilian“ das Rathaus erobert

Von Robert Mucha, Foto: Ideogram/Robert Mucha

Es ist Mittwochabend, halb elf, als ein Heilbronner auf seiner Couch plötzlich wissen will, wann der Wertstoffhof in Böckingen öffnet. Im Rathaus schlafen alle. Alle? Nein. Im digitalen Keller der Stadtverwaltung blinkt ein Cursor, ein virtueller Assistent namens „Kilian“ wartet auf Fragen. Die Stadt Heilbronn hat einen neuen Mitarbeiter – einen, der niemals müde wird und in 19 Sprachen antworten kann.

Wenn sich die Stadt nach Sonnenuntergang leert, die letzten Lichter im Rathaus erlöschen und selbst der dienstbeflissenste Beamte längst die Aktentasche gegen das Fernsehprogramm getauscht hat, bleibt einer wach: „Kilian“, der neue digitale Bürgerchatbot der Stadt Heilbronn.

Er ist der neueste Zuwachs im Universum der Wissensstadt, wo zwischen Weinbergen und alter Industrie die Zukunft geprobt wird. Die Stadt, die einst von Industrie und Handel lebte, versucht sich neu zu erfinden – mit dem Bildungscampus als intellektuellem Kraftwerk, der experimenta als buntem Wissenschaftstempel und nun auch mit diesem namenlosen Algorithmus, der einen typisch heilbronnerschen Vornamen bekommen hat.

„Unser Ziel ist es, den Bürgerservice stetig weiter zu verbessern und den Zugang zu wichtigen Informationen für alle noch einfacher zu gestalten“, erklärt Oberbürgermeister Harry Mergel, der damit einem Trend folgt, der sich in der ganzen Stadt ausbreitet: Heilbronn will smart werden. Und dabei helfen soll „Kilian“, der virtuelle Assistent, der „rund um die Uhr erreichbar ist und viele Fragen sofort beantworten kann.“

Wer durch die Stadt spaziert, sieht, wie der digitale Wandel das Gesicht Heilbronns verändert. Da ist der Innovationspark für Künstliche Intelligenz (Ipai), eine Art Silicon Valley in Miniatur, wo Programmierer und Visionäre an Algorithmen basteln. Da sind die Hörsäle der Hochschule Heilbronn und der DHBW, in denen die nächste Generation von Technikern und Managern ausgebildet wird. Und da ist die experimenta, dieses glitzernde Science-Center am Neckarufer, in dem Kinder spielerisch lernen, warum Roboter nicht müde werden und Algorithmen keine Mittagspause brauchen.

In diesem Kontext wirkt „Kilian“ fast schon bescheiden. Er beantwortet Fragen zu Öffnungszeiten, hilft bei der Suche nach dem richtigen Ansprechpartner und informiert über lokale Veranstaltungen. Technisch gesprochen nutzt er sogenannte Large Language Models (LLM), jene Form von künstlicher Intelligenz, die inzwischen Shakespearesonette schreiben, Programmcode entwickeln und Hausaufgaben erledigen kann.

Was ihn besonders macht: Er spricht neben Deutsch 18 weitere Sprachen und kann seine Antworten in einfacher Sprache formulieren. In einer Stadt, in der Menschen aus über hundert Nationen leben, ist das mehr als nur ein technisches Schmankerl – es ist ein Statement. Heilbronn, die Stadt der Zuwanderer und Pioniere, möchte jedem den Zugang zur Verwaltung ermöglichen, unabhängig von sprachlichen Barrieren.

Doch auch „Kilian“ ist nicht perfekt. Er „arbeitet mit Wahrscheinlichkeiten und kann daher gelegentlich fehlerhafte Informationen liefern“, räumt die Stadt ein. Eine ehrliche Warnung in Zeiten, in denen Technikeuphorie oft kritische Reflexion verdrängt. Wenn es wirklich wichtig wird, sollte man vielleicht doch den menschlichen Sachbearbeiter aufsuchen.

Die Ironie der Geschichte: Während in der Wirtschaft KI-Systeme oft als Jobkiller gefürchtet werden, stellt die Stadt Heilbronn einen digitalen Assistenten ein – nicht um Menschen zu ersetzen, sondern um sie zu entlasten. „Kilian“ soll die einfachen, repetitiven Anfragen beantworten, damit die menschlichen Kolleginnen und Kollegen mehr Zeit für komplexe Fälle haben.

Es ist ein kleiner Schritt für die Stadtverwaltung, aber ein großer Sprung für die digitale Transformation Heilbronns. In einer Zeit, in der manche Städte noch mit der Digitalisierung des Einwohnermeldeamts kämpfen, experimentiert Heilbronn bereits mit künstlicher Intelligenz im Bürgerservice.

Ob „Kilian“ jemals Ambitionen entwickeln wird, selbst den Chefsessel im Rathaus zu übernehmen, ist nicht bekannt. Sicher ist nur: In dieser Stadt, die sich zur Wissensstadt wandelt, in der die TUM neben dem Ipai residiert und die experimenta neben dem Ferdinand-Steinbeis-Institut forscht, ist ein virtueller Rathausmitarbeiter kein exotisches Experiment – sondern nur der logische nächste Schritt.

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