Von Robert Mucha, Foto: Stadt Heilbronn
Mit einem Federstrich bewegen sich Heilbronner demnächst nicht mehr nur auf Straßen und Radwegen, sondern schweben über den Dächern der Stadt. Die Seilbahn, lange belächelt als touristische Spielerei, wird plötzlich zum ernsthaften Verkehrskonzept für eine Stadt, die nicht nur beim Thema KI in neue Dimensionen vordringen will.
Der Raum ist kühl, minimalistisch, die Wände mit Holzlamellen verkleidet. Drei Männer beugen sich über einen ovalen Tisch. Verkehrsminister Winfried Hermann und Heilbronns Oberbürgermeister Harry Mergel setzen ihre Unterschriften auf das Dokument, während Baubürgermeister Andreas Ringle mit einem Anflug väterlichen Stolzes daneben steht. Hinter ihnen zeigt ein Bildschirm bereits die Vision: Eine elegant geschwungene Überdachung am Hauptbahnhof, darunter schwebende Gondeln und Menschen, die selbstverständlich ein- und aussteigen, als hätte es diesen Verkehrsweg schon immer gegeben. „Auftakt der urbanen Seilschwebebahn am Hauptbahnhof in der Innenstadt“ steht darunter.
Was hier in Stuttgart unterzeichnet wird, ist zunächst nur ein Stück Papier. Ein „Letter of Intent“ – eine Absichtserklärung. Doch die Körpersprache der Männer, ihre Konzentration beim Unterzeichnen verrät: Hier geht es um mehr als nur eine vage Idee. Es ist ein Dokument, das Heilbronn in die Lüfte heben soll – zumindest einen Teil seiner Bevölkerung.
„Seilbahnen in der Stadt sind ein innovatives Verkehrsmittel und passen perfekt in moderne ÖPNV-Konzepte“, erklärt Minister Hermann. Seine Worte klingen fast prophetisch in einem Land, das sonst eher für seine Bodenständigkeit bekannt ist. „Sie verbinden zum Beispiel flächensparend Zentrum mit außenliegenden Quartieren und helfen Engpässe am Boden zu überwinden.“ Der Minister lobt den Mut der Stadt: „Die Stadt Heilbronn zeigt Entscheidungsfreude und Entschlossenheit. Wir brauchen innovative Kommunen, die Verkehrsprobleme unkonventionell angehen und neue Lösungen wagen.“
Vier Millionen Euro lässt sich das Land die Vorfinanzierung kosten – die Hälfte der Planungskosten. Nicht wenig für eine Idee, die manchen noch immer futuristisch erscheinen mag. Doch der Druck, neue Mobilitätslösungen zu finden, wächst. Nicht nur in den Metropolen, auch in einer Stadt wie Heilbronn, die sich in den letzten Jahren zunehmend als Innovationsstandort positioniert hat.
Für Oberbürgermeister Harry Mergel ist die urbane Seilbahn „eine große Chance, Heilbronn als Zukunftsstadt weiterzuentwickeln“. Es ist ein Begriff, der vor zehn Jahren noch befremdlich geklungen hätte für die ehemalige Industriestadt am Neckar. Doch mit dem Bildungscampus, dem Innovationspark und nun dem entstehenden KI-Campus Ipai im Norden der Stadt haben sich die Koordinaten verschoben. Heilbronn definiert sich neu – und braucht dafür offenbar auch neue Wege, im wahrsten Sinne des Wortes.
Die Seilbahn soll vom Hauptbahnhof über den Bildungscampus, den Zukunftspark Wohlgelegen und Neckargartach bis zum Ipai führen. Es ist eine Strecke, die die Transformation der Stadt nachzeichnet: vom traditionellen Verkehrsknotenpunkt über die neuen Bildungs- und Innovationszentren bis hin zum Zukunftsprojekt KI-Park. Ein schwebender Pfad in die Moderne.
Dabei ist Baden-Württemberg eigentlich ein Land der Standseilbahnen – sieben gibt es bereits, mehr als in jedem anderen Bundesland. Doch bei den Seilschwebebahnen sieht es anders aus. „In keiner Kommune im Land ist man bisher über die Idee und erste Machbarkeitsstudien hinausgekommen“, gibt Minister Hermann zu. Heilbronn könnte also Vorreiter werden – nicht nur in Baden-Württemberg, sondern bundesweit, wo es bislang nur in Koblenz und Berlin urbane Seilschwebebahnen gibt.
In Europa sind solche Bahnen bereits in Brest und Toulouse entstanden, eine weitere ist in Paris geplant. Es ist eine illustre Liste, auf die Heilbronn dort vorstoßen würde – zwischen Großstädten und Metropolen eine mittelgroße Stadt am Neckar, die plötzlich in der Luft mitspielt.
Die Vorteile liegen auf der Hand, zumindest in der Theorie: Seilbahnen sind energieeffizient, leise, barrierefrei und schnell baubar. Sie benötigen wenig Fläche und sind kostengünstig in Bau und Betrieb. Es klingt fast zu gut, um wahr zu sein – ein Verkehrsmittel ohne die üblichen Nachteile von Bussen, Straßenbahnen oder gar individuellen Autos.
Doch die entscheidende Frage bleibt: Wird die Heilbronner Seilbahn tatsächlich gebaut? Oder bleibt sie eine Absichtserklärung, ein kühner Plan, der letztlich an bürokratischen Hürden, finanziellen Engpässen oder schlicht am Widerstand derjenigen scheitert, die nicht unbedingt Gondeln über ihren Köpfen schweben sehen wollen?
Minister Hermann, Oberbürgermeister Mergel und Baubürgermeister Ringle geben sich jedenfalls überzeugt: „Mit der Unterzeichnung der Absichtserklärung ist der Auftakt für einen Innovationsschub für den Nahverkehr in Heilbronn gelungen.“ Es ist ein Satz, der sowohl Hoffnung als auch Vorsicht ausdrückt. Der „Auftakt“ ist gemacht – der Weg bis zur tatsächlichen Realisierung noch weit.
Während die Tinte auf dem Dokument trocknet, zeigt der Bildschirm weiterhin die Vision einer Stadt, die nicht nur am Boden, sondern auch in der Luft verbunden ist. Es ist ein Bild, das ebenso faszinierend wie herausfordernd wirkt. Heilbronn, die Stadt, die sich neu erfindet – diesmal mit dem Blick nach oben, in den Himmel über dem Neckar, wo vielleicht bald Gondeln schweben werden.