Die Lichtjäger von Heilbronn: Wattewolken und Hippie-Busse im Sonnenschein-Sprint

Von Robert Mucha, Foto: experimenta

An einem Samstag in der experimenta verwandelt sich ein Tieffoyer in eine Miniatur-Rennstrecke und VW-Bullis bekommen Flügel. Eine Reportage über den zwölften Solarmobilbauwettbewerb, bei dem es nicht nur um Millisekundenvorsprünge geht, sondern auch um die Frage, wie sich die nächste Generation von Ingenieuren ihr Traumauto vorstellt.

Die Luft in der experimenta schmeckt nach Heißkleber, Lötzinn und Aufregung. Zwischen Absperrbändern aus rot-weißem Kunststoff stehen Jugendliche in kleine Gruppen verteilt, die Köpfe tief über winzige Fahrzeuge gesenkt. Manche tragen Laborkittel wie Wissenschaftler, andere einfach Jeans und T-Shirts mit Bandlogos. Was sie alle eint: dieser konzentriert-nervöse Gesichtsausdruck, den man sonst nur bei Formel-1-Mechanikern kurz vor dem Rennen sieht.

„Hotdog“, „Die Nerds“, „Solar Susi“ – die Namen der Teams klingen wie eine kuriose Mischung aus Jahrmarktständen und alternativen Rockbands. Sie alle sind nach Heilbronn gereist, um ihre selbstgebauten Solarmobile auf einer zwölf Meter langen Rennstrecke gegeneinander antreten zu lassen. Ein olympischer Sprint für Miniaturfahrzeuge, angetrieben nicht von Benzin oder Batterien, sondern von der reinen Kraft des Lichts.

Die Veranstaltung hat in diesem Jahr erstmals im Tieffoyer der experimenta Platz gefunden – und wie sich herausstellt, ist es die perfekte Bühne für ein Event, das Technik und Theater vereint. Passanten bleiben stehen, Kinder drücken ihre Nasen fast platt an den Absperrungen und selbst ältere Herren mit verschränkten Armen lassen sich zu begeisterten „Ohs“ und „Ahs“ hinreißen, wenn eines der filigran konstruierten Gefährte über die Ziellinie huscht.

Alle 65 Teams hatten die gleichen Startvoraussetzungen: ein Set aus Solarzelle, Elektromotor, Ritzel und Zahnrad. Der Rest war ihrer Fantasie überlassen. Das Ergebnis ist ein Défilé von Miniaturen, das von streng aerodynamischen Rennsportwagen bis zu surrealen Objekten reicht, die aussehen, als hätten sie in Salvador Dalís Garage überwintert.

Das Team „Rainbow“ hat sich für einen Regenbogen mit Wattewolken entschieden – ein Gefährt, das ästhetisch irgendwo zwischen Kindergeburtstag und Pride-Parade angesiedelt ist. Dass es damit vermutlich keinen Geschwindigkeitsrekord aufstellen wird, scheint den Schülerinnen und Schülern bewusst zu sein. Aber manchmal ist der Weg eben wichtiger als das Ziel, und dieser Weg ist besonders farbenfroh.

Eine echte Attraktion ist auch das Modell von „Solar Susi“: ein VW Bulli T1 im Hippie-Style, komplett mit Beleuchtung, Dachreling und Nummernschild. Er sieht aus, als würde er gleich nach Woodstock aufbrechen – nur eben im Maßstab 1:24 und angetrieben von einer Solarzelle statt von fossilen Brennstoffen. Die Jury ist begeistert und verleiht beiden Teams den Kreativpreis.

Doch am Ende geht es hier vor allem um eines: Geschwindigkeit. Die Rennstrecke ist in gleißendes Licht getaucht, das von speziellen Lichtwagen kommt. Sie dienen als mobile Sonnen, unter denen die kleinen Fahrzeuge ihre Energie tanken. Ein Startkommando, und schon sausen die Solarmobile los – manche mit beeindruckender Geschwindigkeit, andere eher gemächlich, wie elektronische Schildkröten.

Bei den jüngeren Teilnehmern (Klassen 5-7) setzt sich das Team „Hotdog“ aus Stuttgart durch. Ihr erstes Mal beim Wettbewerb, und gleich der Sieg – ein solares Aschenputtel-Märchen. In der Kategorie der Klassen 8-10 dominiert das Heimteam „Triple Threat“ aus Heilbronn. Mit einer Laufzeit von exakt 6,00 Sekunden für die zwölf Meter lange Strecke – das sind immerhin 7,2 km/h – lassen sie die Konkurrenz hinter sich.

Besonders erfolgreich sind auch die Teams des Maria von Linden-Gymnasiums aus Calw. Sie räumen nicht nur die Plätze zwei und drei ab, sondern gewinnen auch den Technik- und Kreativpreis in ihrer Altersklasse. Es ist, als hätte der Schwarzwald eine geheime Solarmobil-Akademie.

Interessanterweise spiegeln die Fahrzeuge wider, wer sie gebaut hat. Die pragmatisch-funktionalen Rennwagen kommen meist von Teams mit naturwissenschaftlicher Ausrichtung. Die fantasievollen Kreationen dagegen verraten künstlerische Ambitionen. Und doch verbindet sie alle die selbe Faszination: etwas zu erschaffen, das sich bewegt, ohne dass man es anschieben muss.

Es ist ein kleiner, aber feiner Wettbewerb, der mehr vermittelt als nur technisches Wissen. Er lehrt Teamarbeit, kreatives Problemlösen und die Freude am Tüfteln – Fähigkeiten, die in einer zunehmend digitalisierten Welt vielleicht wichtiger sind denn je. Während die Kinder ihre Miniaturfahrzeuge über die Strecke jagen, lernen sie spielerisch die Grundlagen nachhaltiger Mobilität.

Am Ende des Tages packen die Teams ihre kleinen Solarmobile wieder ein. Manche vorsichtig in Schachteln mit Schaumstoffpolstern, andere einfach in Rucksäcke oder Sporttaschen. Sie nehmen nicht nur Urkunden und Pokale mit nach Hause, sondern auch die Erfahrung, dass Technik nicht nur funktional, sondern auch ästhetisch sein kann. Und vielleicht, ganz vielleicht, kehrt einer dieser jungen Tüftler in zehn Jahren zurück – nicht mehr als Teilnehmer eines Schulwettbewerbs, sondern als Ingenieur mit dem Prototypen eines echten Solarmobils.

Bis dahin bleibt die Erinnerung an einen Tag, an dem VW-Bullis in Miniaturform flogen, Regenbögen auf Rädern rollten und „Hotdogs“ nicht gegessen, sondern angefeuert wurden. Ein kleines Stück Zukunft im Tieffoyer der experimenta, angetrieben von Sonnenlicht und kindlicher Begeisterung.

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