Von Robert Mucha, Foto: experimenta
Abseits der üblichen akademischen Hauptstraßen entsteht eine ungewöhnliche Verbindung: Die Hochschule Heilbronn und das Rote Kreuz Aachen weben ein neues Netzwerk für lebenslanges Lernen. Während deutsche Bildungslandschaften oft in gewohnten Pfaden erstarren, zeigt diese Kooperation, wie Wissenstransfer in einer fragmentierten Gesellschaft neu gedacht werden kann.
Es ist ein sonniger Maitag in Heilbronn, durch die Fenster des Rektorats fällt warmes Licht auf den Schreibtisch von Professor Oliver Lenzen. Hier erklärt der Rektor der Hochschule Heilbronn die jüngste Kooperation seiner Institution – eine Partnerschaft, die geografische Grenzen überwindet und das Bildungssystem von innen heraus verändern könnte.
„Wir freuen uns sehr darüber, dass die Zusammenarbeit zustande gekommen ist“, sagt Lenzen. Seine Worte klingen nach dem üblichen Kooperations-Sprech, doch was hier passiert, ist alles andere als gewöhnlich: Eine Hochschule aus dem baden-württembergischen Heilbronn verbündet sich mit dem Deutschen Roten Kreuz in der nordrhein-westfälischen StädteRegion Aachen – ein Bildungs-Joint-Venture, das quer durch die Republik reicht.
„Ziel ist es, praxisnahe und wissenschaftlich fundierte Bildungsformate zu entwickeln und umzusetzen, die speziell auf die Bedürfnisse von Sozialunternehmen zugeschnitten sind,“ erklärt Lenzen weiter. Der Rektor spricht von Know-how-Transfer und beruflicher Entwicklung – doch zwischen den Zeilen zeichnet sich ein ambitionierteres Bild: eine Antwort auf die Frage, wie Bildung in einer Zeit funktionieren kann, in der klassische Karrierewege immer seltener werden und lebenslanges Lernen von der Floskel zur Notwendigkeit geworden ist.
Viel zu lange waren Hochschulen wie Elfenbeintürme – isolierte Orte der Forschung, umgeben von einer Praxis, die nach anderen Regeln funktionierte. Diese Kluft zu überbrücken war stets schwierig. Die neue Partnerschaft könnte dies ändern, indem sie Theorie und Praxis nicht nur nebeneinander stellt, sondern organisch miteinander verwebt.
Auf der anderen Seite der Republik, in Aachen, sitzt Axel Fielen. Als Vorstandsvorsitzender des DRK Kreisverbandes Städteregion Aachen e.V. lenkt er eine Organisation mit über 950 Beschäftigten und etwa 2.000 ehrenamtlich Tätigen – eine Armee der Menschlichkeit, die Kindertagesstätten betreibt, Rettungswachen besetzt, Flüchtlingsunterkünfte verwaltet und Tagespflegehäuser führt.
„Die Kooperationsvereinbarung eröffnet uns die Möglichkeit, nicht nur essenzielle und einzigartige Weiterbildungsmaßnahmen bereitzustellen, sondern den Teilnehmenden darüber hinaus die Möglichkeit zu bieten, ECTS-Punkte zu erwerben, die auf diverse Studiengänge angerechnet werden können“, erklärt Fielen. ECTS-Punkte – die Währung der akademischen Welt – werden plötzlich für Menschen zugänglich, die sonst vielleicht nie einen Hörsaal betreten hätten. Ein kleiner Schritt für das Bildungssystem, ein großer für die Durchlässigkeit zwischen akademischer und praktischer Bildung.
Das erste konkrete Resultat dieser Kooperation ist bereits in der Umsetzung: Ein Zertifikatskurs für Führungskräfte im Sozialmanagement, konzipiert von Professor Christoph Tiebel. „Die Inhalte richten sich nicht nur an Führungskräfte, sondern ebenso an all jene, die sich künftig eine leitende Position vorstellen können“, erklärt der Professor. „In beiden Fällen geht es insbesondere darum, neue Perspektiven zu gewinnen und sich persönlich weiterzuentwickeln.“
Sechs Module, die von BWL über Recht bis zu IT reichen – ein kompaktes Studium, das nicht mit dem Bachelor oder Master abschließt, sondern mit einem Zertifikat. Ein Format, das die Hürden senkt, ohne die Qualität zu kompromittieren. Es ist ein erster Schritt, dem bald weitere folgen sollen: Ein Kurs für „Dozent*in in der Erwachsenenbildung / Weiterbildung“ steht bereits in den Startlöchern.
Diese Kooperation passt zu Heilbronn, einer Stadt, die sich in den letzten Jahren zu einem bemerkenswerten Bildungsstandort entwickelt hat. Mit dem expansiven Bildungscampus, der Technischen Universität München vor Ort und zahlreichen Forschungsinstituten hat sich die ehemalige Weinstadt neu erfunden. Die Zusammenarbeit mit dem DRK Aachen ist ein weiterer Mosaikstein in diesem Transformationsprozess.
Aus der Perspektive des DRK ist die Partnerschaft ebenso sinnvoll. Als Organisation, die sowohl lokal als auch global agiert, sowohl in Katastrophengebieten als auch in Kindertagesstätten präsent ist, braucht das Rote Kreuz Menschen mit vielfältigen Qualifikationen. Die Kooperation mit der Hochschule Heilbronn bietet die Möglichkeit, diese Qualifikationen maßgeschneidert zu entwickeln.
Was in Heilbronn und Aachen beginnt, könnte zum Modell für andere Regionen werden. In einer Zeit, in der Deutschland über Fachkräftemangel, Bildungsungleichheit und die Zukunft der Arbeit diskutiert, zeigt diese ungewöhnliche Partnerschaft, wie institutionelle Grenzen überwunden werden können, um neue Wege des Lernens zu erschließen.
Die Bildungsbrücke zwischen Heilbronn und Aachen ist mehr als nur eine Kooperation zwischen zwei Institutionen. Sie ist ein Experiment, das zeigen wird, ob unser Bildungssystem flexibel genug ist, um sich den Herausforderungen der Zukunft anzupassen. Ob aus dem Experiment Alltag wird, bleibt abzuwarten – die ersten Schritte sind gemacht.