Der Weltbürger aus Meerbusch: Wenn deutsche Stipendiaten Afrika retten wollen

Von Robert Mucha, Foto: Privat

Lucas Senghaas studiert in Heilbronn, half in Mosambik und lernte in Singapur. Seine Geschichte ist die eines Deutschlandstipendium-Trägers, der zeigt, wie eine Generation das Privileg der Bildung in globale Verantwortung verwandelt – auch wenn dabei nicht alle Widersprüche aufgelöst werden.

Der TUM Campus Heilbronn, an einem warmen Maitag. Zwischen den Glasfassaden und modernen Hörsälen bewegt sich Lucas Senghaas, 21 Jahre alt, Student aus Meerbusch bei Düsseldorf, mit der selbstverständlichen Gelassenheit seiner Generation. Er ist einer von 23 Studierenden am Campus, die derzeit das Deutschlandstipendium erhalten – 300 Euro monatlich, finanziert je zur Hälfte vom Bund und von Förderern wie Professor Dr. Dr. h.c. Helmut Krcmar, dem Gründungsdekan des Heilbronner Standorts.

Senghaas studiert Management & Technology an der TUM School of Management, ein Studiengang, der zwischen Betriebswirtschaft und Technologie changiert. „Der familiäre Charakter, die Nähe zu den Professoren, die Möglichkeit, in kleinen Gruppen zu lernen – das bietet viele Vorteile“, sagt er über seinen Studienort. Eine Entscheidung, die bewusst getroffen wurde: „Das unternehmerische Denken, das sowieso in der DNA der TUM verankert ist, scheint in Heilbronn besonders stark ausgeprägt zu sein.“

Es ist eine Beobachtung, die symptomatisch ist für eine Generation, die ihre Bildungsentscheidungen strategisch trifft. Heilbronn statt München oder Berlin – nicht aus Verlegenheit, sondern aus Kalkül. Der Campus bietet, was große Universitäten oft nicht können: Überschaubarkeit, Nähe, die Möglichkeit, nicht in der Masse zu verschwinden.

Doch was Senghaas wirklich auszeichnet, liegt jenseits seiner akademischen Leistungen. Es sind die sechs Wochen, die er 2023 in Mosambik verbrachte, in einem Land, das zu den ärmsten der Welt gehört. Er unterstützte dort eine von der Stiftung „Brot gegen Not“ betriebene Bäckerei, die ein ganzes Dorf mit Nahrung versorgt.

„Wirtschaftliche Herausforderungen setzten dem Betrieb zu“, heißt es in der Pressemitteilung der TUM. Senghaas ging das Problem systematisch an: Er optimierte die Abläufe, reduzierte Kosten durch kürzere Ofenlaufzeiten sowie einen effizienteren Energie- und Wasserverbrauch. Außerdem erschloss er eine neue Einnahmequelle, indem er hochwertiges Brot an Botschaften und Hotels verkaufte.

Die Zeit nach der Arbeit verbrachte er mit den Kindern des Dorfes. „Trotz ihrer Armut und vieler Krankheiten waren sie voller Lebensfreude und Glück“, erinnert er sich. „Das hat mir gezeigt, wie gut es uns geht und wie viel diese Kinder dafür geben würden, studieren zu können, um ihrem Teufelskreis zu entkommen.“

Es ist ein Satz, der die Ambivalenz einer globalen Generation einfängt: Der aufrichtige Wunsch zu helfen, gepaart mit der fast unvermeidlichen Romantisierung der Armut. Die „Lebensfreude trotz Armut“ – ein Narrativ, das so alt ist wie die Entwicklungshilfe selbst und doch bei jedem neuen Freiwilligen wieder neu entdeckt wird.

Der Kontrast zu seinem dritten prägenden Ort könnte größer nicht sein: Singapur, wo Senghaas im vergangenen Jahr ein Auslandssemester an der National University of Singapore absolvierte, die eng mit dem TUM Campus Heilbronn kooperiert. Auch dort entdeckte er Parallelen: „Dort setzt man ebenfalls auf kleine Lerngruppen mit 20 bis 30 Leuten.“ Die starke Vernetzung mit der Wirtschaft erinnerte ihn an die TUM: „Viele Dozierende waren ehemalige Banker oder haben ein eigenes Unternehmen gegründet.“

Während seines Aufenthalts in Singapur erhielt er die Zusage für das Deutschlandstipendium. „Von einer so angesehenen Person gefördert zu werden, bedeutet mir viel. Ihn an meiner Seite zu haben, stärkt mich und macht mich stolz“, sagt er über seinen Förderer Helmut Krcmar.

Die Frage, wofür er das Stipendiengeld verwenden will, beantwortet Senghaas ohne Zögern: „Ich möchte es vor allem den Kindern in Mosambik zugutekommen lassen. Mit wenig Geld kann ich vor Ort viel bewegen – und ich würde gerne noch einmal dorthin reisen, um weiter zu helfen.“

Es ist eine Antwort, die die Paradoxien seiner Generation offenbart: Mit deutschem Stipendiengeld afrikanische Probleme lösen zu wollen, ist ebenso bewundernswert wie symptomatisch für eine Weltsicht, die lokale und globale Verantwortung nicht mehr trennt. Die Frage, ob ein 21-jähriger Student aus Deutschland tatsächlich die Lösungen für strukturelle Probleme eines afrikanischen Landes besitzt, stellt sich dabei nicht.

Das Deutschlandstipendium fördert Studierende, die sich durch „exzellente akademische Leistung sowie gesellschaftliches und soziales Engagement“ auszeichnen. Seit dem Studienjahr 2022/23 beteiligt sich der TUM Campus Heilbronn an dem Programm. Die Bewerbungsphase für das neue Förderjahr läuft noch bis zum 8. Juni.

Senghaas verkörpert den Typus des modernen deutschen Stipendiaten: weltgewandt, engagiert, akademisch exzellent und getrieben von einem Verantwortungsgefühl, das keine nationalen Grenzen kennt. Ob diese Haltung naive Weltverbesserung oder pragmatische Globalität ist, bleibt eine offene Frage. Sicher ist nur: Es ist eine Generation, die das Privileg der Bildung ernst nimmt – auch wenn sie dabei manchmal über die Komplexität der Welt stolpert, die sie zu retten versucht.

Heilbronn, Mosambik, Singapur – drei Orte, die einen jungen Mann geprägt haben, der stellvertretend für eine Generation steht, die sich weigert, klein zu denken. Ob das gut oder schlecht ist, wird die Zukunft zeigen.

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