Von Robert Mucha, Foto: DHBW CAS
Wendy Broersen kommt aus Amsterdam und bringt eine unbequeme Wahrheit mit nach Heilbronn: Deutsche Unternehmen reden von Vielfalt, stellen aber am liebsten Menschen ein, die ihnen selbst ähneln. Jetzt gibt es erstmals eine Weiterbildung, die das ändern soll – auch wenn es wehtut.
Es ist ein warmer Frühlingstag in Heilbronn, als Wendy Broersen eine Wahrheit ausspricht, die viele deutsche Personalchefs lieber nicht hören möchten: „Die Unternehmen sagen: Wir wollen einfach die beste Person für diesen Job einstellen. In der Realität haben sie immer eine Präferenz für Personen, die ihnen selbst ähnlich sind.“
Die Niederländerin steht vor einer Gruppe von Führungskräften am Center for Advanced Studies der DHBW und spricht über etwas, das in deutschen Unternehmen noch immer als Randthema behandelt wird: Diversität und Inklusion. Nicht als moralisches Feigenblatt oder PR-Maßnahme, sondern als knallharte Geschäftsstrategie.
Vor fünf Jahren hat Broersen an der Universität Amsterdam ein Weiterbildungsprogramm entwickelt, das nun erstmals auch in Deutschland angeboten wird. Der Grund ist simpel: In einer Zeit, in der Fachkräfte fehlen und die Bevölkerung immer älter wird, können sich Unternehmen den Luxus der Homogenität schlicht nicht mehr leisten.
„Je nach Region haben bis zu 30 Prozent der Menschen einen multikulturellen Hintergrund“, sagt Broersen. „Ein Drittel der Bevölkerung zu ignorieren ist seltsam und kein gutes Geschäftsmodell.“ Es ist eine Einschätzung, die schmerzhaft konkret wird, wenn man sich deutsche Führungsetagen ansieht – noch immer dominiert von weißen Männern mittleren Alters mit ähnlichen Biografien.
Die Lösung klingt einfach: Blind Hiring, bei dem persönliche und demografische Informationen aus den Lebensläufen entfernt werden. „Dies wird allerdings kaum praktiziert“, stellt Broersen nüchtern fest. Der Grund liegt in der menschlichen Natur: Wir vertrauen dem, was uns ähnelt, und misstrauen dem Fremden.
Dabei geht es längst nicht mehr nur um die klassischen Kategorien. „Dabei geht es nicht nur um Frauen oder People of Color“, stellt Broersen klar. „Aus Sicht der Gesellschaft ist es schräg, dass große Gruppen oft unterrepräsentiert sind.“ Menschen mit Behinderungen, Menschen, die sich als LGBTQ+ definieren, neurodivergente Menschen – etwa 20 Prozent der Weltbevölkerung – all diese Gruppen bleiben in vielen deutschen Unternehmen unsichtbar.
Hinzu kommt eine demografische Besonderheit unserer Zeit: Erstmals arbeiten fünf verschiedene Generationen gleichzeitig – von den Babyboomern bis zur Generation Z. „So hat die jüngere Generation eine ganz andere Einstellung zur Work-Life-Balance. Bei den älteren Mitarbeitenden kommt es eher darauf an, Bedingungen zu schaffen, die sie langfristig gesund halten“, erklärt Broersen.
Es ist eine Gemengelage, die deutsche Personalabteilungen oft überfordert. Während sie noch über flexible Arbeitszeiten diskutieren, haben andere Länder längst erkannt, dass Diversität kein Sozialexperiment ist, sondern ein Wettbewerbsvorteil.
Die Globalisierung trägt zur Komplexität bei. In Ballungsräumen leben Menschen mit dutzenden verschiedenen kulturellen Hintergründen – ein Potenzial, das viele Unternehmen nicht nutzen, weil sie nicht wissen, wie.
Broersen bringt es auf eine einfache Formel: „Die Menschen bewerben sich erst gar nicht, wenn sie das Gefühl haben, dass sie nicht reinpassen.“ Ein Gefühl, das wissenschaftlich messbare Folgen hat: „Sich ausgeschlossen fühlen, das habe man wissenschaftlich untersucht, habe im Gehirn den gleichen Effekt wie körperlicher Schmerz.“
Der aktuelle Arbeitsmarkt verstärkt diesen Effekt. Menschen, die einen Job suchen, haben die Wahl – sie müssen sich nicht mehr mit Unternehmen abgeben, in denen sie sich unwohl fühlen. „Heißt: Die Arbeitgeber müssen sich anstrengen, Talente für sich zu gewinnen – nicht abzuschrecken“, fasst Broersen zusammen.
Im Gegenzug verspricht sie messbare Vorteile für Unternehmen, die Diversität und Inklusion ernst nehmen: weniger Krankheitstage, längere Verweildauer der Mitarbeiter, höhere Innovationskraft. „Ein echter Gewinn!“, wie sie sagt.
Die Weiterbildung „Diversity Management und Inklusion im Unternehmen“ richtet sich an HR-Professionals, Diversity-Manager, Führungskräfte – alle, die verstehen wollen, dass Vielfalt mehr ist als ein Schlagwort aus der Unternehmensstrategie. Die Teilnehmer erhalten „fundierte Einblicke in aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und Best Practices von internationalen Expertinnen und Unternehmen wie IBM und Deutsche Telekom.“
Dass eine Niederländerin nach Heilbronn kommen muss, um deutschen Unternehmen zu erklären, wie moderne Personalarbeit funktioniert, ist symptomatisch. Deutschland, das Land der Ingenieure und Tüftler, tut sich schwer mit der vielleicht wichtigsten Innovation der Gegenwart: der Erkenntnis, dass Verschiedenheit stärker macht als Gleichförmigkeit.
Am Center for Advanced Studies der DHBW, diesem Ort des lebenslangen Lernens, wird nun versucht, was längst überfällig ist: deutschen Führungskräften beizubringen, dass die Zukunft bunter, vielfältiger und komplexer wird – und dass das eine Chance ist, keine Bedrohung.
Ob diese Botschaft ankommt, wird sich zeigen. Sicher ist nur: Unternehmen, die weiterhin auf Homogenität setzen, werden im Kampf um die besten Köpfe verlieren. Nicht weil es moralisch geboten ist, sondern weil es ökonomisch dumm ist.